Erschienen am 7.8.2018 auf heute.de
Hitzewelle
Viele Menschen fühlen sich kaum noch in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Dabei ist Hitze für gesunde Menschen eigentlich kein Problem, sagt Biometeorologe Andreas Matzarakis.
heute.de: Ist ein gesunder Mitteleuropäer trotz der Hitzewelle normal leistungsfähig?
Andreas Matzarakis: Meteorologisch gesehen und in Bezug auf die Umweltbedingungen kann sich der Mensch über eine ganz große Spannbreite hinweg anpassen. Für gesunde Menschen ist es
kein Problem, drei bis vier Tage mit extremen Bedingungen zurechtzukommen. Bei gesundheitlich angeschlagenen Menschen ist es natürlich anders. Aber was ist ein junger, gesunder Mensch? Wie definiere
ich das? Ist beispielsweise jemand mit viel Stress im Job noch gesund? Oder jemand, der sich falsch verhält: Manche junge Leute sagen ja, ihnen mache die Hitze nichts aus, und dann gehen sie abends
um 17 Uhr eine Stunde Joggen ...
heute.de: Und das ist nicht vernünftig?
Matzarakis: Das ist überhaupt nicht vernünftig! Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad sind ideale Bedingungen für den menschlichen Körper. Bei ungefähr 27 Grad verbrauchen wir am wenigsten Energie, damit für den Organismus alles optimal läuft. Je näher wir aber der Temperatur des Menschen kommen, die knapp unter 37 Grad liegen sollte, umso unangenehmer wird es für den Körper. Denn er muss sich der Wärme entledigen, die er selbst produziert. Schon vorher fangen wir an zu schwitzen, versuchen also, die überschüssige Wärme durch Verdunstungsabkühlung loszuwerden. Aber wenn die Belastung zu lang andauert oder zu stark ist, dann schafft der Organismus das nicht mehr. Folgen sind Hitzeschäden, die vom Sonnenstich bis zum Hitzschlag und sogar bis zum Hitzetod reichen können.
heute.de: Wie lange braucht ein gesunder Erwachsener, um sich an extrem hohe Temperaturen anzupassen?
Matzarakis: Der Körper braucht etwa drei bis vier Tage, bis er realisiert: Ich bin jetzt irgendwo anders. Nach ein paar Tagen schwitzt man zwar nicht unbedingt weniger, aber man merkt es nicht mehr so sehr. Auch wenn eine Hitzewelle länger andauert, können wir uns anpassen. Der eine braucht dafür mehr, der andere weniger Zeit. Ab 35 Grad wird das zwar auch für Gesunde schwer, sie passen sich aber schneller an als Risikogruppen.
heute.de: Welche Rolle spielt die Ernährung bei der Anpassung?
Matzarakis: Das ist ziemlich einfach: Wenn man bei dieser Hitze eine Schweinshaxe isst, dann muss diese Schweinshaxe zersetzt werden. Das kostet viel Energie und belastet den
Körper zusätzlich. Wenn man stattdessen eine Wassermelone mit Schafskäse isst, nimmt man die ganzen Elektrolyte und Mineralien wieder auf, die man ausgeschwitzt hat. Und die Mahlzeit ist außerdem
schnell verdaut.
heute.de: In Südeuropa haben die Menschen einen ganz anderen Rhythmus. Brauchen wir in Deutschland bald die Siesta?
Matzarakis: Ich finde gewisse Maßnahmen im Sommer angebracht, angefangen bei der Kleidung: leger statt Business-Dress. Man könnte auch verstärkt über Vereinbarungen nachdenken und dort, wo es möglich ist, früher anfangen zu arbeiten und entsprechend früher aufhören. Und wenn die Siesta mittags nicht machbar ist, dann wenigstens nach Feierabend erst einmal ein bisschen ausruhen und sich erholen. Jedenfalls nicht joggen gehen.
heute.de: Sind die hohen Temperaturen in den Städten eine besondere Belastung?
Matzarakis: In Bezug auf die Gesundheit ist das schon gravierend, weil bei uns 70 Prozent der Menschen in den Städten leben. Der extreme Temperaturunterschied zwischen Stadt und Land besteht überwiegend nachts, nicht tagsüber - also genau dann, wenn die Leute eine Erholung brauchen. Die Hauptursache liegt darin, dass es in den Städten durch mehr hohe Gebäude mehr Oberflächen gibt. Auf diese vertikalen Oberflächen knallt schon vormittags die Sonne, und die Stadt heizt sich auf. In den verdichteten Räumen ist die Wärme wie gefangen und kann nicht in die Atmosphäre abgegeben werden. Hinzu kommt, dass die Oberflächen die Wärme speichern.
heute.de: Wie sinnvoll sind Klimaanlagen?
Matzarakis: Klimaanlagen geben ja auch Wärme ab, und zwar natürlich in die Luft. Für den privaten Gebrauch rate ich aus wissenschaftlichen Gründen deshalb von Klimaanlagen ab, weil die Städte dadurch zu heiß werden. In Tokio zum Beispiel gehört dieser Effekt zu den Hauptursachen für die urbane Wärmeinsel. Langfristig müssen wir versuchen, die Konfiguration unserer Städte anzupassen. Wir können die Städte ja nicht neu bauen. Aber wir können bei Umgestaltungen versuchen, solche Faktoren zu berücksichtigen, nicht nur im Sinne des Klimawandels.
Das Interview führte André Madaus.