Erschienen am 20.2.2019 auf heute.de

 

Antarktis-Station

Forschung in der Stille: Zehn Jahre Neumayer III

 

Die deutsche Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis wird zehn. Demnächst soll dort ein neues Kapitel der Forschungsgeschichte aufgeschlagen werden.

 

Die Antarktis ist kein Ort wie jeder andere auf der Erde. Das beginnt schon damit, dass der so genannte siebte Kontinent niemandem gehört, seit 1959 der Antarktis-Vertrag unterzeichnet wurde. Wer die strengen international vereinbarten Umweltschutzregeln beachtet, darf hier aber zumindest forschen. Rund 80 Stationen unterhalten die führenden Industrienationen im ewigen Eis, eine davon ist die vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) betriebene Station Neumayer III. Sie gehört zu den etwa 40 ganzjährig besetzten antarktischen Forschungseinrichtungen.  

 

Ein unersetzlicher Lebensraum

2009 haben die ersten Wissenschaftler ihren Dienst auf Neumayer III angetreten. Wie schon ihre beiden Vorgänger ist die Station Deutschlands Beitrag zum Antarktis-Vertrag, der den Zugang zur Region genau regelt und sie dadurch zum am besten geschützten Lebensraum der Erde macht. Für AWI-Direktorin Antje Boetius ist der Vertrag ein Segen, auch weil er Forschungen ermöglicht, die nirgendwo sonst zu machen wären. "Man kann hier die reinste Luft, den leisesten Ozean und diese unglaubliche natürliche Vielfalt an Leben vorfinden. Gerade für die marinen Säugetiere, aber auch für Pinguine ist das ein unersetzlicher Lebensraum."

 

Die Erforschung der Tierwelt ist nur ein kleiner Teil der Arbeit auf Neumayer III. Hier werden Langzeit-Messreihen fortgeführt, die schon 1981 auf der ersten westdeutschen Südpolar-Station begonnen wurden. Die Wissenschaftler beobachten praktisch alles um sie herum: das Wetter, die Chemie der Umwelt, die Luftqualität, das sogenannte Ozonloch, das Erdmagnetfeld, die Einstrahlung der Sonne auf die Erde oder seismische Signale weit entfernter Erdbeben. Die Stille der Antarktis ermöglicht auch die Überwachung internationaler Abkommen wie dem Verbot von Kernwaffentests.

 

Raumfahrtforschung im Eis

"Es gibt auch immer wieder neue Ideen und Fragen", berichtet Antje Boetius, die im vorigen Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde. "Die Raumfahrtforschung hat sich hier angesiedelt und untersucht, wie der automatisierte Anbau von Pflanzen in einer Umwelt gelingt, die für Pflanzen nicht vorgesehen ist. Es wird auch medizinisch erforscht, wie es Menschen in permanenter Dunkelheit ergeht. Besonders wird auch gerade nach dem Verhalten von Pinguinen in einer Kolonie nahebei geschaut, durch neue automatisierte Verfahren. Das ist absolut dringlich."

 

Aktuell bereitet das AWI eine gemeinsame europäische Mission vor, die ein neues Kapitel in der Erforschung der Klimageschichte aufschlagen soll. "Wir wollen das älteste Eis in der Antarktis erbohren, um die vollständige CO2-Klimageschichte des Menschen zu rekonstruieren, seit er zum ersten Mal das Feuer genutzt hat. Um diese aufwändige Mission hinzubekommen, arbeiten viele Nationen und Stationen zusammen."

 

Schmilzt jetzt auch das antarktische Eis?

Antworten verspricht sich die Meeresbiologin Boetius vor allem auf die Frage, wie sich Arktis und Antarktis bei Klimaveränderungen verhalten. Während sich die Arktis in den letzten Jahrzehnten zunehmend erwärmt und das Meereis dort immer stärker abschmilzt, ist das antarktische Meereis bislang weitgehend stabil geblieben. Zumindest bis vor Kurzem: "Die Antarktis ist in den letzten Jahren sehr viel dynamischer geworden, die Ausschläge im Sommer und Winter werden größer. Gerade jetzt im Januar haben wir das größte Minimum seit Beginn der Beobachtung verzeichnet."

Die Frage sei nun, ob sich dieser Trend in den nächsten Jahren bestätigt oder bei einem Mittelwert einpendelt. Die geplanten Bohrungen im antarktischen Eis könnten einen Blick in die Klimageschichte ermöglichen und diese Frage beantworten. Für das Verständnis des Erdsystems sei das von größter Wichtigkeit. "Im Moment verlassen wir uns sehr darauf, dass die Antarktis kalt bleibt. Aber wenn sich das ändert, müssen wir unsere Vorhersagen anpassen und schnell verstehen, was die Ursachen für die Meereisabnahme sind."

 

Mit Blick auf den Klimawandel spielt das Eis der Antarktis also eine Schlüsselrolle. Die Forscher auf Neumayer III arbeiten letztlich auch daran, dass ihr einzigartiger Arbeitsplatz bleibt, was er ist: Kein Ort wie jeder andere.  

 

 

Neumayer III: Zahlen und Fakten

 

Geschichte der deutschen Antarktis-Stationen

Die DDR betrieb mit der Georg-Forster-Station bereits seit 1976 eine ganzjährig besetzte Station in der Antarktis. Die 1981 im Ekström-Schelfeis errichtete Georg-von-Neumayer-Station war die erste antarktische Überwinterungsstation der Bundesrepublik Deutschland. Benannt wurde sie nach dem Geophysiker und Polarforscher Georg von Neumayer (1826-1909). Schon diese erste Station diente als wissenschaftliches Observatorium für Geophysik, Meteorologie und Luftchemie. Da die Röhrenkonstruktion durch den jährlichen Zuwachs an Schnee und die eigene Wärmeentwicklung immer tiefer in das Eis eingesunken war, wurde 1992 etwa zehn Kilometer entfernt die Station Neumayer II gebaut. Nach weiteren 17 Jahren war auch diese ähnlich konstruierte Station 15 Meter unter der Oberfläche versunken und durch die sich bewegenden Eismassen stark verformt. Die 2009 eingeweihte Neumayer-Station III wurde so gebaut, dass ihre Lebensdauer mindestens 25 Jahre betragen soll. Die Kosten für das gesamte Projekt belaufen sich auf 39 Millionen Euro.

 

Technische Daten von Neumayer III

Neumayer III wird vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) betrieben. Um nicht dasselbe Schicksal wie die beiden Vorgängerstationen zu erleiden, wurde sie auf 16 hydraulischen Stelzen errichtet, die bei Bedarf die gesamte Plattform anheben können. Die 68 mal 24 Meter große und 2.300 Tonnen schwere Station bietet auf vier Etagen knapp 5.000 Quadratmeter geschützte Nutzfläche. Dies entspricht etwa der Größe eines Fußballplatzes. Davon sind 2.118 Quadratmeter klimatisiert bzw. beheizt. Den Bewohnern stehen 15 Räume mit 48 Betten sowie zwölf Büros und Labore zur Verfügung. Drei Dieselgeneratoren mit je 160 Kilowatt Leistung und ein Windkraftwerk (30 Kilowatt) versorgen die Station mit Energie. Dafür verbraucht das Blockheizkraftwerk monatlich im Schnitt 20.000 Liter Dieselkraftstoff. Um diesen Verbrauch zu reduzieren und die antarktischen Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometer pro Stunde effektiver zu nutzen, soll der Anteil der erzeugten Windenergie gesteigert werden.

 

Umweltverträglichkeit

Dass die Station Neumayer III durch ihre hydraulischen Stelzen mitwachsen kann, verlängert nicht nur ihre Lebensdauer. Bei der speziellen Konstruktion ging es auch um Umweltschutz, denn anders als ihre Vorgänger wird diese Station nicht im ewigen Eis versinken und dort als Relikt zurückbleiben. Neumayer III wurde vielmehr so konzipiert, dass die aus 128.000 Einzelteilen bestehende Stahlkonstruktion bis auf die letzte der insgesamt 16.000 verwendeten Schrauben zurückgebaut werden kann. Auch im laufenden Betrieb wurde auf ökologische Aspekte geachtet: Abwasser wird biologisch geklärt und für die Toilettenspülung wiederverwendet. Der Schlamm der vollbiologischen Kläranlage wird getrocknet und zusammen mit dem anderen Müll per Eisbrecher wieder nach Hause transportiert.

 

Forschungsfelder

Das Spektrum der wissenschaftlichen Forschungsfelder der Neumayer-III-Station ist breit gefächert. Das Meteorologie-Observatorium der Station startet regelmäßig Wetterballone mit Sonden, um Temperatur, Luftfeuchte, Luftdruck, Wind und die Verteilung von Ozon in der Atmosphäre zu messen. Außerdem gibt es Studien zur Luftchemie, zum Magnetfeld der Erde und zum Meereis. Auch die Tierwelt wird erforscht, wie zum Beispiel eine Kolonie von Kaiserpinguinen in der Nähe von Neumayer III. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe betreibt hier außerdem eine Infraschall-Station, die einen Beitrag zur Kontrolle des Kernwaffenteststopp-Vertrags leistet. Auch der Deutsche Wetterdienst ist auf Neumayer III vertreten. Die Wetterexperten sind hier nicht nur für die deutsche Station tätig, sondern beraten auch Partnerländer wie Russland, Norwegen und Südafrika mit Flugwettervorhersagen.

 

Gewächshaus EDEN-ISS

Seit 2017 ist auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit dem Gewächshaus EDEN-ISS Teil des Neumayer III-Komplexes. Das EDEN-ISS-Projekt soll die Frage beantworten, ob und wie Nutzpflanzen auch im Weltall oder in klimatisch ungünstigen Regionen angebaut werden können. In dem Gewächshaus gedeihen die Pflanzen ganz ohne Erde, Tageslicht oder Pestizide. Stattdessen werden die Wurzeln computergesteuert mit einer Nährstofflösung versorgt. Das Projekt erwies sich bislang als voller Erfolg: Nach der Aussaat im Februar 2018 konnten schon im Juni 39 Kilogramm Salat, 35 Kilo Gurken, 17 Kilo Tomaten, sieben Kilo Kohlrabi und vier Kilo Radieschen geerntet werden.

Autor: André Madaus

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