Erschienen am 4.7. 2016 auf heute.de
Neubauten
Um ihre ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, denkt die Bundesregierung über eine erneute Änderung der Energieeinsparverordnung nach. Damit könnten mit Ventilatoren angetriebene Lüftungsanlagen bei Neubauten Pflicht werden. Experten glauben, dass die Systeme dabei helfen, Klimaziele zu erreichen.
Es ist eine Nachricht, die so manchen Häuslebauer und Hausbesitzer aufstöhnen lassen dürfte: Die Bundesregierung denkt darüber nach, das Baurecht weiter zu verschärfen. Um die Energieeffizienz in Gebäuden zu verbessern, wird auch eine mögliche Verpflichtung zu ventilatorgestützten Lüftungsanlagen im Wohnbereich diskutiert - will heißen: Die Technik soll lüften, nicht der Mensch. Dabei ginge es zunächst um Neubauten, auf längere Sicht aber auch um bereits bestehende Gebäude. Der Einbau einer solchen Lüftungsanlage kann je nach angewandter Technik mehrere tausend Euro kosten.
Energiewende allein reicht nicht
Erst Anfang des Jahres war die letzte Novellierung der Energieeinsparverordnung (EnEV) wirksam geworden. Dabei wurden der energetische Standard für Neubauten um 25 Prozent gesenkt und neue Mindestanforderungen für Wärmedämmung festgelegt.
Nun plant Berlin also die nächsten Schritte - für Michael Hörner absolut nachvollziehbar. "Dahinter steckt die Überlegung, Heizenergie einzusparen, die Geld kostet und CO²-Emissionen verursacht. Die technischen Lösungen für Einsparungen im Gebäudesektor sind alle vorhanden. Eine ventilatorgestütze Lüftung mit Wärmerückgewinnung ist ein Baustein für das Gebäude der Zukunft", sagt der Physiker. Hörner und seine Kollegen vom Darmstädter Institut für Wohnen und Umwelt (IWU) arbeiten an der Energieeffizienz von Gebäuden. Fakt ist: Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, geht das nicht ohne deutliche Steigerung der Energieeffizienz.
"Es gibt oft die leichtfertige Vorstellung, man müsste nur die gesamte Energie aus regenerativen Quellen beziehen, dann bräuchte man sich mit Wärmedämmung gar nicht erst zu beschäftigen. Aber wir können nicht blauäugig darauf vertrauen, dass Sonne und Wind uns schon ausreichend Energie liefern werden. Wir müssen unseren Bedarf soweit wie möglich reduzieren", betont Hörner. Zumal der Ausbau der regenerativen Energien sich angesichts der zahlreichen Widerstände auf allen Ebenen im Land als zähe Angelegenheit erweist.
Tausendfach erprobte Technik
Ein gewaltiges Potenzial zur Senkung der CO²-Emissionen schlummert in unseren Wohnhäusern, Büros und Schulen: Schätzungsweise ein Drittel der gesamten Treibhausgase, die in Deutschland in die Atmosphäre gelangen, werden dort verursacht. Zudem entfallen etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs auf Gebäude. Bis 2050, so das Ziel der Bundesregierung, soll deshalb der gesamte Gebäudesektor klimaneutral gestaltet werden.
Ventilatorgestützte Lüftungsanlagen könnten dazu beitragen, diese Vorgabe umzusetzen. In Passivhäusern ist die Technik tausendfach erprobt: Verbrauchte Luft inklusive Schadstoffen und Feuchtigkeit wird abgeführt, frische Luft kommt in die Wohnung. Durch Wärmetauscher wird dabei der Energiebedarf auf ein Minimum reduziert. "Die ideale Lösung", findet Michael Hörner. "Das Passivhaus muss eigentlich der Standard werden, und zwar nicht nur im Neubau, sondern insbesondere auch im Gebäudebestand. Anders ist nicht vorstellbar, wie man die bei der Weltklimakonferenz in Paris beschlossenen Ziele erreichen will."
Die Wärmedämmung hat inzwischen einen ziemlich ramponierten Ruf. Zu teuer, buchstäblich brandgefährlich und durch die Verbundstoffe bei der Entsorgung ein Fall für den Sondermüll, heißt es oft. Ein weiterer Vorwurf: Durch den vielzitierten "Käseglockeneffekt" der eingepackten Häuser würden sich Feuchtigkeit und Schadstoffe im Haus anreichern und gefährlichen Schimmel verursachen.
Faktor Mensch
Für Michael Hörner basieren viele Argumente der oft polemisch geführten Debatte entweder auf handfesten wirtschaftlichen Interessen oder schlicht auf mangelndem Wissen. Vor allem, wenn es um den Schimmel geht. "Heute ist die ganze Gebäudehülle besser gedämmt und dichter. Dadurch bleiben die Wände wärmer und die Wahrscheinlichkeit, dass Wasserdampf irgendwo kondensieren kann, ist deutlich geringer. Die Schimmelgefahr ist so praktisch ausgeschlossen - es sei denn, man ist beim Lüften sehr nachlässig." Wie in vielen anderen Bereichen auch sei der Mensch mehr als früher gefragt, wenn es um den richtigen Umgang mit technischen Anlagen geht.
Während Berlin an der Novelle der Energieeinsparverordnung arbeitet, wird in Brüssel schon weiter geplant. Bis 2018 müssen alle neu errichteten öffentlichen Gebäude den "Nearly Zero Energy"-Standard erfüllen. "Das ist dann der nächste logische Schritt zum klimaneutralen Gebäude", sagt Michael Hörner.