Erschienen am 16.5.2015 auf heute.de

 

 

Bienensterben

 

"Bienen sind ein Schlüsselstein des Ökosystems"

 

Nicht nur Honigbienen sind in Gefahr - auch Wildbienen und Hummeln sind laut Studien auf dem Rückzug. "Wenn sie dezimiert werden, würden sich Lebensmittel verknappen und teurer werden", warnt Umweltexpertin Corinna Hölzel im heute.de-Interview - und fordert ein unbefristetes Pestizidverbot. 

 

heute.de: Die EU-Kommission hat kürzlich angekündigt, die schädliche Wirkung von Pestiziden aus der Gruppe der Neonikotinoide auf Honigbienen weiter zu prüfen. Gibt es nicht längst genug Studien, um ein dauerhaftes Verbot zu begründen?

 

Corinna Hölzel: Die Neonikotinoide sind eine Stoffgruppe von sehr toxischen Nervengiften, die sich nur langsam abbauen und im Boden anreichern. Sie werden gegen Schädlinge eingesetzt, töten aber auch andere Insekten wie Bienen. Es gibt inzwischen sehr viele Studien, die belegen, dass Neonikotinoide äußerst gefährlich sind. Auch die EU hat gemerkt, dass diese Stoffe ein Problem darstellen, das nicht von der Hand zu weisen ist. Also wurden 2013 drei der Wirkstoffe verboten. Das ist aber kein vollständiges Verbot, sondern nur eine eingeschränkte Zulassung. Man darf immer noch das Wintergetreide und im Gewächshaus spritzen, aber zumindest nicht mehr auf Pflanzen, die von Bienen angeflogen werden. Diese eingeschränkte Zulassung läuft Ende 2015 aus. Ich denke, angesichts der zahlreichen weltweiten Studien wird es sich die EU nicht leisten können, die Stoffe wieder zuzulassen. Der BUND fordert, das jetzige Verbot zeitlich zu entfristen und ohne Einschränkungen auf alle Neonikotinoide auszudehnen.

 

heute.de: Thiacloprid gehört ebenfalls zu den Neonikotinoiden, ist aber weiter zugelassen?

 

Hölzel: Thiacloprid wird seit der eingeschränkten Zulassung der drei Neonikotinoide vermehrt in der Landwirtschaft eingesetzt. Es ist aber auch in verschiedenen Schädlingsbekämpfungsmitteln wie Calypso oder Lizetan von Bayer enthalten, die in heimischen Gärten angewendet werden. Zahlreiche Studien legen eine bienenschädigende Wirkung von Thiacloprid nahe. Auch im Heimgarten muss aus unserer Sicht viel vorsichtiger mit Pestiziden umgegangen werden. Die Zeitschrift "Ökotest" hat vor Kurzem in allen getesteten deutschen Honigen Rückstände von Thiacloprid gefunden. Das Deutsche Bienenmonitoring hat gezeigt, dass dieser Stoff auch in vielen Pollen nachzuweisen ist, den Bienen zum Füttern ihrer Brut einlagern. Der Stoff ist also überall in der Umwelt und auch schon in unserer Nahrungskette. Er ist wasserlöslich und gelangt in unsere Gewässer, wo er Fische, Amphibien und andere Organismen schädigen kann.

 

heute.de: Experten rechnen mit dem Aussterben einiger Bienenarten in den nächsten zehn Jahren. Welche Folgen würde das nach sich ziehen?

 

Hölzel: Es geht ja nicht nur um das Sterben der Honigbienen. Ähnlich beunruhigend ist das Sterben bei den Wildbienen und Hummeln. Ein Imker kann Bienenvölker vermehren. Bei ihren wilden Verwandten geht das nicht. Aber auch sie sind maßgeblich an der Bestäubungsleistung beteiligt. Deshalb ist es in der Tat sehr beunruhigend, dass in Europa bis zu 50 Prozent der Wildbienen gefährdet sind. Wenn man das weiterdenkt, ist in erster Linie unsere Nahrungsmittelproduktion in Gefahr. Honigbienen und Wildbienen zusammen sind durch die Bestäubung für mehr als ein Drittel unserer Nahrung verantwortlich. Etwa 75 Prozent unserer Nahrungsmittelpflanzen werden von Bienen bestäubt. Getreide wie Weizen, Reis und Mais spielen dabei keine Rolle. Aber vor allem Gemüse- und Obstsorten sind von der Bestäubung durch Insekten abhängig, außerdem Ölsaaten wie Raps und Sonnenblumen, Wildkräuter und Arzneimittelpflanzen.

 

heute.de: Ein Rückgang oder gar Aussterben der Bienen hätte also auch für uns Menschen schwerwiegende Konsequenzen?

 

Hölzel: Die Honig- und Wildbienen sind in unserem komplexen Ökosystem ein Schlüsselstein. Wenn sie dezimiert werden, würden sich Lebensmittel verknappen und teurer werden. Wahrscheinlich würden sie noch stärker zu einem Spekulationsobjekt werden. Die Schere zwischen arm und reich würde weiter auseinandergehen, mehr Armut, Hunger und soziale Konflikte wären die Folge. Natürlich könnten sich auch viele Pflanzen ohne Befruchtung durch Bienen nicht mehr vermehren. Und wenn bestimmte Pflanzen aussterben, gibt es auch Tiere nicht mehr, die von diesen Pflanzen abhängen. Dabei geht es nicht nur um Insekten, sondern auch um Vögel und Säugetiere. Wir hätten also einen gigantischen Dominoeffekt, der sich auf das gesamte Ökosystem auswirkt. Gefährliche Gifte wie Neonikotinoide haben deshalb in unserer Umwelt nichts zu suchen. Die Zukunft unserer Landwirtschaft liegt in naturnahen Methoden der Schädlingsbekämpfung wie Mischkulturen, Fruchtwechsel und mehr Lebensraum für Nützlinge.

 

Das Interview führte André Madaus

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© André Madaus