Erschienen am 21. Juli 2012 auf heute.de:

Gut für die Umwelt oder das Gewissen?

von André Madaus

 

"Bio" ist das neue Ding in der Kunststoffherstellung. Seit die Preise für Rohstoffe immer neue Höhen erklimmen, setzen namhafte Unternehmen zunehmend Biokunststoffe ein. Der Markt weist jährlich zweistellige Wachstumszahlen auf. Ob "bio" hier gleich "ökologisch sinnvoll" ist, bleibt allerdings offen.

Von vielen Verbrauchern fast unbemerkt schleichen sich neuartige Produkte ins Leben: Eine vollständig kompostierbare Gießkanne jüngst im Angebot eines Kaffeegroßhändlers etwa. Die Experten mögen über den Zeitpunkt streiten, aber das Ende des Erdölzeitalters ist in Sicht. Diese Entwicklung wirft ihre Schatten auch in der chemischen Industrie immer deutlicher voraus. PET, der Stoff aus dem die meisten Getränkeflaschen bestehen, lässt sich längst auf Basis nachwachsender Rohstoffe wie Zuckerrohr bei gleicher Qualität herstellen. Erst im Juni besiegelten fünf Weltkonzerne, darunter Coca-Cola und Procter & Gamble, eine strategische Partnerschaft, um in naher Zukunft ihre Verpackungen zu 100 Prozent biobasiert produzieren zu können.

 

Biokunststoffe noch doppelt so teuer

Bis dahin ist es noch ein langer Weg: Der weltweite, jährliche Bedarf an mineralölbasierten Kunststoffen liegt bei über 250 Millionen Tonnen. Dem gegenüber steht eine Weltjahresproduktion an biobasierten Kunststoffen von etwa 1 Million Tonnen, allerdings mit Zuwachsraten bis zu 20 Prozent. Verpackungen sind dabei mit rund 40 Prozent das führende Marktsegment im Bioplastik-Bereich. Aktuell sind sie im Schnitt noch doppelt so teuer wie herkömmliche Plastikverpackungen. "Mit zunehmenden Kapazitäten werden die Differenzen innerhalb der kommenden drei Jahre deutlich sinken", ist sich Kristy-Barbara Lange von der Lobbyorganisation European Bioplastics jedoch sicher.

 

"Allein in den letzten drei Jahren haben sich die Produktionskapazitäten von Biokunststoffen verdreifacht und damit deren Wettbewerbsfähigkeit enorm gesteigert", bestätigt auch Lisa Mundzeck vom Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe in Hannover. So sei der Einkaufspreis der so genannten Polymilchsäuren (PLA) in den letzten zehn Jahren um mehr als die Hälfte gesunken und momentan auf dem gleichen Niveau wie Polypropylen (PP), einem der am häufigsten verarbeiteten Werkstoffe.

 

Vielseitig einsetzbar
Polymilchsäuren sind für die Industrie aufgrund ihrer Materialeigenschaften von großem Interesse. Sie sind biokompatibel, können also mit herkömmlichen Kunststoffen gemischt werden. Da sie nur wenig Feuchtigkeit aufnehmen, eignen sie sich für Kleidung, speziell für Sportbekleidung. Die geringe Flammbarkeit, Farbechtheit und UV-Beständigkeit ist zum Beispiel für Möbel von Vorteil. Nicht zuletzt können Kunststoffe aus PLA unter bestimmten Bedingungen biologisch abgebaut werden. Sie werden daher in der Landwirtschaft oder in der Medizin für Implantate verwendet, die sich nach einiger Zeit im Körper abbauen."Um alle erdölbasierten Kunststoffe weltweit durch Biokunststoffe zu ersetzen, wären nur etwa fünf Prozent der zur Verfügung stehenden Agrarflächen erforderlich", betont Lisa Mundzeck. Eine Konkurrenz zu Nahrungsmittelpflanzen, wie sie im Energiesektor häufig kritisiert wird, ist also nicht zu befürchten.

 

Nicht alles so grün, wie es scheint

Dennoch ist beim Bioplastik längst nicht alles so "grün", wie es scheint. Aus Kostengründen setzen Firmen für Biokunststoffe überwiegend auf Mais oder Zuckerrohr – doch deren Anbau geht meist mit einem hohen Einsatz von Pestiziden und einem extremen Wasserverbrauch einher. "Deshalb schneiden etwa Plastiktüten aus Bio-Polyethylen in der Ökobilanz nicht besser ab, als solche aus fossilen Rohstoffen", betont Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe DUH."Wir sehen eine Tendenz, vorschnell unausgereifte Produkte auf den Markt zu bringen, auch um damit Greenwashing zu betreiben", kritisiert Fischer. "Im Grunde können Sie aus beinahe jedem Ausgangsmaterial Kunststoffe herstellen, ob aus Baumrinde, Büffelgras oder Orangeschalen. Ökologisch wäre es sinnvoller, anstelle von aufwändig produzierten Energiepflanzen landwirtschaftliche Abfall- oder Nebenprodukte zu nutzen. Hier stehen wir noch am Anfang der Entwicklung."



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