Erschienen am 8.1. 2015 auf heute.de

 

Bodenatlas 2015

Boden: Viel mehr als Dreck unter unseren Füßen

 

von Andre Madaus

 

Fruchtbare Böden sind die Grundlage eines intakten Ökosystems und erfüllen wichtige Aufgaben. Sie sichern unsere Ernährung, beeinflussen das Klima und filtern Regenwasser. Der Bodenatlas 2015 möchte deshalb mehr Menschen für den Schutz der Böden sensibilisieren. 

 

Hätten Sie es gewusst? In einer Handvoll Erde tummeln sich mehr Lebewesen als Menschen auf der Welt. Allerdings gilt diese faszinierende Tatsache nur für einen gesunden, humusreichen Boden. Durch Erosion, Flächenverbrauch und intensive Landwirtschaft verschwindet jedes Jahr weltweit Ackerfläche von der Größe Islands. Das ist deshalb dramatisch, weil die natürliche Bildung von nur ein paar Zentimetern Boden Tausende Jahre dauert. Die Vereinten Nationen haben für 2015 das "Internationale Jahr des Bodens" ausgerufen.

 

"Bodenschutz stiefmütterlich behandelt worden"

 

"Der Bodenschutz ist in den letzten Jahren sehr stiefmütterlich behandelt worden", sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die EU schützt das Wasser mit klaren Gesetzen - eine verbindliche Bodenrahmenrichtlinie gibt es bislang nicht. Auch in den mehr als 200 internationalen Umweltverträgen und -abkommen wird der Schutz unserer Böden nur selten thematisiert. Um mehr Menschen auf die wichtigen ökologischen und sozialen Funktionen des Bodens aufmerksam zu machen, präsentiert der BUND in Zusammenarbeit mit drei weiteren Organisationen deshalb den Bodenatlas 2015. Die Publikation enthält zahlreiche Fakten und Hintergründe rund um Acker, Land und Erde.

 

Das Schattendasein des Bodens ist erstaunlich, bedenkt man, dass rund 90 Prozent aller Lebensmittel direkt oder indirekt von ihm abhängen. "Die Bodenfruchtbarkeit ist deshalb ganz zentral für die Sicherung der Welternährung", so Benning. An der Frage, wie im Jahr 2050 rund 14 Milliarden Menschen ernährt werden sollen, scheiden sich die Geister. Die eine Seite setzt auf Monokulturen mit Höchsterträgen durch den Einsatz von mineralischem Dünger in wachsenden Mengen, Pestiziden oder gentechnisch verändertem Saatgut. Eine Bodennutzung, die sich mit der Zeit rächt: Europaweit haben inzwischen 45 Prozent der Böden deutlich an organischer Substanz verloren, die natürliche Fruchtbarkeit sinkt.

 

Studien: Ökolandbau erreicht fast Erträge des konventionellen Anbaus

 

Der andere Weg betrachtet den Boden als ein Ökosystem und die Vielzahl an Kleinstlebewesen als nützliche Helfer. "Humus, Wasser, Pflanzen oder auch Pilze, die den Boden durchwirken, schaffen im Ökolandbau eine fest miteinander verbaute Bodenstruktur, die auch längeren Trockenzeiten oder massiven Niederschlägen gut standhalten kann", erläutert Benning. Die Auswertung von 160 Studien ergab: Ökolandbau erreicht in den Industrieländern Erträge von durchschnittlich 92 Prozent des konventionellen Anbaus. Keine Höchsterträge, dafür aber eine kontinuierliche und zuverlässige Ertragsstabilität, die gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit auch für künftige Generationen bewahrt.

 

Den Autoren des Bodenatlas 2015 geht es aber auch um soziale Fragen. Vor allem durch den Import von Futtermitteln zur Fleisch- und Milcherzeugung beansprucht die EU schätzungsweise eineinhalb Mal so viel wie die Fläche aller 28 Mitgliedsstaaten. Dieser "Land-Fußabdruck" verschärft andernorts die Flächenkonkurrenz zum Lebensmittelanbau. "Die europäische Gesetzgebung zu Agrartreibstoffen und die Fleisch- und Milchindustrien lösen einen großen Run auf Land aus und tragen so zu Landnahme im großen Stil - dem Land Grabbing - bei", so Benning.

 

EU-Strategiepapier erwartet

Für Anfang dieses Jahres hat die EU ein Strategiepapier mit dem Titel "Land als Ressource" angekündigt, um die Risiken der aktuellen Landbewirtschaftung sowie Lösungsansätze aufzuzeigen. Höchste Zeit, findet Reinhild Benning: "Wir fordern von der Bundesregierung, dieses EU-Strategiepapier zu unterstützen und vor allem die Konsequenzen mitzutragen, die daraus hervorgehen dürften. In den vergangenen Jahren hat Deutschland die Versuche der EU für mehr Bodenschutz leider blockiert."

 

Faktenbox BODENATLAS 2015

 

Nur ein Abkommen zu Böden

Drei große Ziele hat sich die Weltgemeinschaft gesetzt: Der Verlust der Biodiversität soll gestoppt werden, das Klima soll sich um nicht mehr als zwei Grad Celsius erwärmen und jeder Mensch ein Recht auf gesunde Ernährung haben. Für alle diese Aufgaben bilden die Böden unter unseren Füßen buchstäblich die Grundlage: Sie ermöglichen die Produktion von Nahrung, filtern Regenwasser und schaffen so sauberes Trinkwasser. Außerdem speichern sie gigantische Mengen Kohlenstoff - mehr als alle Wälder der Erde zusammen - und sind daher unverzichtbar im Kampf gegen den Klimawandel.

Dennoch gibt es bislang nur ein internationales Abkommen, das sich ausdrücklich auf Böden bezieht. Das UN-Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) ist dabei bislang auf Trockengebiete beschränkt. Dennoch: Das Ziel der UNCCD, die weltweite Bodendegradation bis 2030 zu stoppen, ist Teil einer UN-Entwicklungsagenda, die von 2015 an den UN-Milleniumszielen des Jahres 2000 folgen soll.

 

Folgen der industriellen Landwirtschaft

Der Einsatz moderner Technik - Hochleistungssaatgut, Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel, Monokulturen und intensive Bewässerung - hat die landwirtschaftliche Produktion in den letzten 50 Jahren weltweit nahezu verdreifacht - obwohl die genutzte Fläche nur um zwölf Prozent angestiegen ist. In Kombination mit engen Fruchtfolgen und geringem Zwischenfruchtanbau hat diese intensive Nutzung der Böden gravierende Folgen. So haben beispielsweise in der EU laut Bodenatlas 2015 rund 45 Prozent der Böden inzwischen deutlich an organischen Substanzen wie Humus und Kleinstlebewesen verloren. Die Artenvielfalt im Boden und seine natürliche Fruchtbarkeit gehen zurück. Auch andere wichtige Funktionen des Bodens werden gestört. Ausgelaugte und verdichtete Böden können starke Niederschläge und Trockenzeiten weniger ausgleichen als gesunde, die bis zum Vierfachen ihres eigenen Gewichts an Wasser speichern können und so auch eine wichtige Rolle bei Überschwemmungen spielen. Durch Wind- und Wassererosion geht so wertvoller Boden verloren.

 

Ökolandbau setzt auf die "kleinen Helfer"

Im Ökolandbau übernehmen großteils natürliche Vorgänge die Düngung des Ackers. Der Ab- und Umbau von organischem Material im Boden durch kleine und kleinste Lebewesen ernährt die Nutzpflanze. Pilze machen beispielsweise Phosphate im Boden für die Pflanze nutzbar. Ein Vorgang, der wissenschaftlich noch nicht vollständig erforscht ist. Der Wechsel verschiedener Nutzpflanzen sowie ein ganzjähriger Bewuchs mit Zwischenfrüchten schützt die Oberfläche vor Verschlämmung und Erosion, der durchwurzelte Boden ernährt die Kleinstlebewesen und schützt die Artenvielfalt.

Laut Bodenatlas 2015 benötigt der Ökolandbau durch den Verzicht auf Mineraldünger und die bessere Bodenqualität rund ein Drittel weniger fossile Energie pro Hektar als konventionelle Methoden. Ein dermaßen bewirtschafteter Acker kann demnach etwa doppelt so viel CO2 speichern. Ökolandbau benötigt zudem weniger oder keinen Phosphordünger - ein klarer Vorteil, denn die natürlichen Phosphor-Reserven der Welt gehen wahrscheinlich eher zuneige als das Erdöl.

 

Wer hat Zugang zum Boden?

Mit jährlich rund 55 Milliarden Euro machen die EU-Agrarsubventionen etwa 45 Prozent des EU-Haushaltes aus. Nach Ansicht der Autoren des Bodenatlas 2015 ist dieses politische Instrument hauptsächlich dafür verantwortlich, dass in der EU wenige sehr große landwirtschaftliche Betriebe weiter wachsen, während die Zahl der kleineren Betriebe sinkt. Sie hat allein zwischen 2000 und 2010 um 28 Prozent abgenommen.

Das Problem: Ein Großteil der Subventionen ist an die Fläche der Betriebe gebunden, sodass zum Beispiel die in Ostdeutschland tätige KTG Agrar für ihre rund 30.000 Hektar rund neun Millionen Euro im Jahr einstreicht. Laut Bodenatlas erhalten durch diese Flächenbindung die größten 20 Prozent der Betriebe rund 85 Prozent aller Subventionen. Hinzu kommt seit der Finanzkrise das Phänomen, dass Ackerland als stabile Anlage gilt und externe Investoren, die bislang nicht in der Landwirtschaft tätig waren, große zusammenhängende Flächen vor allem in Ostdeutschland aufkaufen. Die Autoren des Bodenatlas fordern daher auch neue Regelungen für den Landzugang.

 

 

Der "externe Land-Fußabdruck"

Ein zentrales Thema des Bodenatlas 2015 ist die weltweit ungleiche Verteilung des Zugangs zu Böden. Während beispielsweise ein durchschnittlicher Europäer 1,3 Hektar Anbaufläche für die Produktion der von ihm verspeisten Nahrungsmittel benötigt, steht einem Einwohner von Bangladesch nur ein Sechstel dieser Fläche überhaupt zur Verfügung. Zudem liegen mittlerweile 60 Prozent der für den Nahrungsmittel-Konsum in Europa genutzten Flächen außerhalb der EU.

Europa ist wie kein anderer Kontinent von Ackerflächen außerhalb der eigenen Grenzen abhängig: Der "Land-Fußabdruck" der EU liegt nach Schätzungen des Bodenatlas bei 640 Millionen Hektar, etwa das Eineinhalbfache der Fläche aller 28 Mitgliedstaaten. Allein für unseren Fleischkonsum werden in Lateinamerika Futtermittel auf Äckern von der Größe Englands angebaut. Anders ausgedrückt: Wollte jeder Erdbewohner so viel Fleisch essen wollen wie der durchschnittliche Europäer, müssten 80 Prozent des weltweit verfügbaren Ackerlandes ausschließlich zur Produktion von Fleisch genutzt werden.

 

 

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