Erschienen auf heute.de am 20. Mai 2013
von André Madaus
Eine kleine grüne Frucht gilt in Indien seit vielen Jahrhunderten als Allheilmittel. Jüngste vorklinische Studien deuten darauf hin, dass Amla möglicherweise Tumorzellen stoppen kann. Von einem Medikament gegen Krebs auf Basis der sauren Früchte ist die Forschung aber noch weit entfernt.
Auf den ersten Blick erinnern die Früchte eines Amla-Baumes an Stachelbeeren. Ähnliche Größe, beinahe kugelrund und hellgrün. Vor allem auf dem indischen Subkontinent kennt jedes Kind die sauren Beeren, die in scharfen Gerichten wie Pickles und Chutneys oder als süße Marmelade zu fast jeder Mahlzeit gehören – ganz nach dem Motto: "An apple a day keeps the doctor away." Emblica officinalis, so der botanische Name, ist ein in Südost-Asien weit verbreiteter Laubbaum.
Heilmittel gegen alle Krankheiten
Schon uralte vedische Quellen bezeichnen die Früchte als Heilmittel gegen alle Krankheiten. Amla ist deshalb eine der wichtigsten Heilpflanzen im Ayurveda. Sie soll unter anderem die Verdauung unterstützen, Fieber senken, das Blut reinigen, Husten und Asthma lindern, das Herz stärken und sogar den Intellekt fördern. Eine Eigenschaft schätzen die Inder wohl besonders: Regelmäßig eingenommen, so steht es im berühmten Charaka Samhita, sei Amla ein wirksames Mittel zur Verzögerung des degenerativen Alterungsprozesses.Außerhalb Indiens ist Amla noch erstaunlich wenig bekannt. Es sind vor allem Wissenschaftler, die sich in den letzten Jahren eingehender mit der Frucht beschäftigt haben. Mit neuen Untersuchungsmethoden versuchen sie, einzelnen Inhaltsstoffen auf die Spur zu kommen und zu verstehen, wie sie auf andere Organismen wie den menschlichen Körper wirken.
Studien: Amla gegen Tumorzellen
Neben vielen weiteren Stoffen enthält Amla, wie anderes Obst auch, ein breites Spektrum an Antioxidantien. Diese Substanzen können im menschlichen Körper Reaktive Sauerstoffspezies unschädlich machen und spielen möglicherweise eine Rolle beim Alterungsprozess. Letztlich geht es um die Frage, ob die traditionellen Anwendungsgebiete der Amla wissenschaftlich belegt werden können. Jüngere Untersuchungen haben überraschende Erkenntnisse geliefert: "Studien mit Extrakten oder einzelnen isolierten Substanzen der Frucht haben gezeigt, dass Amla das Wachstum von Tumorzellen in der Petrischale hemmen und sie zum Absterben bringen kann", bestätigt Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums.
Alle bisherigen Studien wurden vorklinisch an Zellkulturen oder in Tierexperimenten durchgeführt. Eine der untersuchten Substanzen ist das Quercetin, ein Farbstoff, der auch in Traubenschalen vorkommt und unter anderem antioxidativ wirkt. Warum und wie genau das Quercetin oder andere Amla-Bestanteile das Wachstum von Tumorzellen stoppen können, ist noch unklar. Womöglich wird ein programmierter Zelltod in Gang gesetzt, der die bösartigen Zellen letztlich zum Absterben bringt. "Es werden unterschiedliche Wirkmechanismen diskutiert, aber wie das genau im lebenden Organismus funktioniert, weiß man noch nicht", so Weg-Remers.
Amla-Kräutermischung nach Chemotherapie
In Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass Amla einen gewissen Schutz vor den Nebenwirkungen einer Bestrahlung oder Chemotherapie bieten kann. Tatsächlich verschreiben manche indische Onkologen schon heute Kräutermischungen auf der Basis von Amla nach einer Chemotherapie: Sie nehmen an, dass die Frucht die toxische Wirkung auf die gesunden Zellen vermindert und so die Nebenwirkungen der Therapie lindert.
In Deutschland ist das ferne Zukunftsmusik. "Von einem Medikament auf Amla-Basis ist man auf jeden Fall noch Jahre entfernt", ist sich Weg-Remers sicher. Die Hürden für die Zulassung neuer Arzneimittel sind sehr hoch, insbesondere die Kosten für die im Vorfeld erforderlichen Studien. Die sind aber nötig, weil beispielsweise unerwünschte Nebenwirkungen ausgeschlossen werden müssen. Unter tausenden Stoffen, die den langen Weg zum zugelassenen Medikament antreten, landet am Ende vielleicht einer beim Apotheker.