Erschienen am 30.3. 2015 auf heute.de:
von André Madaus
Zehn Milliarden Eier essen wir Deutschen jedes Jahr. Immer begehrter sind Bio-Eier. Doch gerade für Bio-Bauern ist es schwierig, das Wohl der Tiere im Blick zu haben und gleichzeitig wirtschaftlich zu arbeiten. Ein Thüringer scheint eine Lösung gefunden zu haben.
Ein Besuch auf dem Hof von Heiko Müller im thüringischen Tanna ist wie eine kleine Zeitreise. Hühner und Hähne, Gänse und Enten tummeln sich da, picken, watscheln und gackern. Hochgezüchtete oder bewegungsunfähige Tiere gibt es hier nicht. "Unsere 20 Hektar Nutzfläche dienen allein dem Auslauf der Tiere", sagt Müller. Das Futter für sein Federvieh bezieht er von einem nahegelegenen Hof, der im Gegenzug den Mist aus Müllers Stall für seine Äcker bekommt. "So stärken wir unsere Region, und auf Soja vom Weltmarkt können wir weitestgehend verzichten."
Ein rückwärtsgewandter Träumer ist Heiko Müller aber keineswegs. Bei aller Liebe zu einer artgerechten Haltung verliert der Landwirt Kosten und Nutzen nie aus dem Blick. Schon allein wegen seiner insgesamt sechs Angestellten: "Das sind sechs Familien, deren Auskommen von dem Betrieb abhängt." Herzstück des Biohofes sind rund 3.200 Masthühner und etwa gleich viele Legehennen. Auch die bezieht Müller seit Kurzem von einem Partner aus der Region, der Bio-Küken aufzieht.
Auf Küken aus den markbeherrschenden konventionellen Groß-Brütereien ist Heiko Müller nicht mehr angewiesen. Das ist noch immer eine Ausnahme, denn die Dominanz vor allem der Lohmann Tierzucht GmbH aus Cuxhaven ist so groß, dass selbst Biobauern weitgehend von diesen Tieren abhängig sind. Bundesweit gibt es schlicht zu wenig Brütereien, die Öko-Küken anbieten, um die steigende Nachfrage nach Bio-Eiern zu decken. Das führt dazu, dass Bio-Kunden - meist ohne es zu ahnen - das bestehende System der Massenproduktion und Hochleistungszucht unterstützen, wenn sie mit vermeintlich reinem Gewissen ihre Eier kaufen.
Ethik-Ei aus Tanna
Teil dieses Systems ist seit Langem die massenhafte Tötung männlicher Küken. Die legen naturgemäß keine Eier und setzen im Gegensatz zu ihren auf Fleischzuwachs getrimmten Artgenossen der Mastlinien zu wenig Fleisch an, um als Brathähnchen zu taugen. Deshalb werden jedes Jahr 40 bis 50 Millionen Tiere nach dem Schlüpfen vergast und geschreddert, manchmal auch als Futter an Zoos verkauft.
Auf Heiko Müllers Hof hingegen dürfen auch die männlichen Küken seiner Legehennen ein stressfreies Leben genießen - Grundgedanke des sogenannten Bruderhahn-Projektes. "Für mich hat der Tierwohlgedanke eine sehr hohe Priorität. Deshalb haben wir uns vor zwei Jahren entschlossen, das Ethik-Ei auf den Markt zu bringen."
Von seinem Händler bekommt Müller drei Cent mehr pro Ei. Mit dem Kauf eines Ethik-Eis aus Tanna unterstützen Kunden so das Bruderhahn-Projekt. "Mit den Mehreinnahmen können wir den erhöhten Futterbedarf decken, um die Bruderhähne zwanzig Wochen lang großzuziehen." Am Ende werden sie natürlich doch geschlachtet und beispielsweise als Suppenhuhn vermarktet. "Aber wenigstens hat es so einen Sinn", sagt Müller.
Bioland und Demeter wollen Öko-Hühner züchten
Ein Weg, die Abhängigkeit der Biobauern von den Großkonzernen zu brechen, wäre eine ökologische Zweinutzungsrasse. Die Anbauverbände Bioland und Demeter haben deshalb Anfang März eine Gesellschaft gegründet, um gemeinsam ein Öko-Huhn zu züchten. Die weiblichen Tiere sollen ausreichend Eier legen und die männlichen genug Fleisch für die Mast ansetzen.
Doch erfolgversprechende Züchtungen sind langwierig und entsprechend kostspielig. Heiko Müller findet die Initiative gut: "Zweinutzungsrassen wären auf jeden Fall eine Option, aber ich glaube nicht, dass in den nächsten paar Jahren eine wirtschaftlich rentable Rasse auf den Markt kommt." Zurzeit legen Zweinutzungshühner etwa 240 Eier im Jahr. Bei Heiko Müller kommt manches Huhn auf 300. "Betriebswirtschaftlich liegen da für uns Welten dazwischen."
Eine direkte Vermarktung ist in der ländlichen Region schwierig. Heiko Müller vertreibt seine Eier deshalb hauptsächlich über Bioläden in ganz Deutschland. "Die Konkurrenz ist groß, also müssen wir unsere Kunden durch Preis und Qualität überzeugen." Und darauf hoffen, dass genügend Menschen bereit sind, ein paar Cent mehr für das Ethik-Osterei zu bezahlen.
Billige Eier auf Kosten der Tiere
Nach verschiedenen Schätzungen werden in Deutschland jedes Jahr zwischen 40 und 50 Millionen männliche Küken getötet. Sie sind der männliche Nachwuchs der so genannten Hybrid-Legehennen, also von Hühnern, die speziell für hohe Legeleistungen gezüchtet wurden. Diese Hühner setzen wenig Fleisch an, weil die mit dem Futter aufgenommene Energie vor allem in die Eiproduktion gehen soll.
Weit über 300 Eier legt eine Hybrid-Legehenne im Jahr, naturgemäß ist davon etwa die Hälfte männlich. Da diese Hähne selbst keine Eier legen können und aufgrund der Züchtung zu langsam Fleisch ansetzen, sind sie für Brütereien wirtschaftlich betrachtet nutzlos: Sie werden binnen 24 Stunden nach dem Schlüpfen mit Kohlendioxid vergast und als Spezial-Futter etwa an Zoos verkauft oder geschreddert und verbrannt.
Anders läuft es bei den so genannten Masthybriden, die männlich und weiblich sein können: Tiere dieser Linien sind auf schnellen Fleischzuwachs bei möglichst geringen Futtermengen getrimmt. Schon nach rund 30 Tagen erreichen sie ihr Mastendgewicht und werden geschlachtet. Die unnatürliche Gewichtszunahme führt allerdings dazu, dass sich die Tiere zuletzt kaum mehr bewegen können.
Bundesweites Verbot nicht in Sicht
Bereits im Herbst 2013 hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland ein Verbot der Massentötung männlicher Küken erlassen. Grundlage war ein Urteil der Staatsanwaltschaft Münster. Sie kam nach einem Ermittlungsverfahren zu dem Schluss, dass diese gängige Praxis tierschutzwidrig sei. Elf von zwölf Brütereien in NRW reichten daraufhin Klage vor dem Verwaltungsgericht in Minden ein - und bekamen im Februar 2015 Recht. Zur Begründung hieß es, eine Umsetzung des Gesetzes würde für die Betriebe den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte schon auf der Agrarministerkonferenz 2014 angekündigt, nach Alternativen für die Massentötung zu suchen. Er wies darauf hin, dass laut Tierschutzgesetz Tiere nur getötet werden dürfen, wenn dafür ein vernünftiger Grund vorliege. Ein bundesweites Verbot ist bislang jedoch nicht in Sicht. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) warnt vor einem Verbot, weil die Betriebe dadurch erhebliche Probleme bekämen. Die Produktion würde letztlich ins Ausland verlagert werden. Aber auch in den Niederlanden regt sich Widerstand gegen die Massentötung, die Suche nach Alternativen wird staatlich gefördert.
Wissenschaftler der Universität Leipzig arbeiten seit Jahren an Wegen, noch im Ei das Geschlecht feststellen und männliche Embryonen so frühzeitig aussortieren zu können. Für die sogenannte In-Ovo-Geschlechtsdifferenzierung ("im Ei") gibt es verschiedene Ansätze: mittels Entnahme von Sexualhormonen durch ein winziges Loch im Ei, was jedoch erst nach etwa neun Tagen möglich ist; oder anhand von Lichtwellen, die geschlechtsspezifisch absorbiert werden. Durch dieses Verfahren ließe sich das Geschlecht sofort bestimmen - zumindest theoretisch. Denn bislang haben sich beide Ansätze als nicht praxistauglich erwiesen.
Brütereien wie der Branchenführer Lohmann Tierzucht GmbH aus Cuxhaven unterstützen das Vorhaben trotzdem. Die Konzerne haben großes Interesse an einem funktionierenden In-Ovo-Verfahren, weil ihre Betriebe die Hälfte der Eier umsonst bebrüten und entsprechende Kosten haben. Tierschützer und Gegner der Massentierhaltung lehnen die Früherkennung im Ei als Alternative tendenziell ab. Sie sei letztlich nur die Bekämpfung eines Symptoms, weil die grundsätzlichen Strukturen dadurch nicht geändert würden. Durch die Monopolstellung der Lohmann Tierzucht GmbH sind auch Biobetriebe auf deren Legehennen angewiesen.
Und auch Verbraucher haben kaum eine Wahl: Selbst wer Bio-Eier kauft, unterstützt meist ohne es zu ahnen das bestehende System der Massenproduktion und Hochleistungszucht - und vermutlich auch der Massentötung männlicher Küken.
Die Zucht von Legehennen wird von wenigen global agierenden Konzernen dominiert. Sie kontrollieren die Elterntierherden, Brütereien, Aufzucht und Legehennenhaltung sowie
Mast und Schlachtung in einem Verbund. Um sich aus der Abhängigkeit von der industriellen Intensivproduktion zu befreien, wollen die ökologischen Anbauverbände Demeter und Bioland eine für den
ökologischen Landbau maßgeschneiderten Geflügelzucht entwickeln. Schon in wenigen Jahren soll die Ökologische Tierzucht gGmbH Öko-Legehennen und "in absehbarer Zeit auch ein Zweinutzungshuhn anbieten
können".
Ziel der Züchtungen sind "100 Prozent Öko-Fütterung, Auslauf-Eignung, Anpassung an heimische Leguminosen und Proteinkomponenten sowie Resistenz gegen Krankheiten und Robustheit bei gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreicher Lege- und Mastleistung". Kritiker bezweifeln bislang, dass ein Zweinutzungshuhn jemals so kostengünstig sein kann, dass es zur breiten Vermarktung geeignet wäre.
Es gibt eine ganze Reihe Initiativen, die Verbrauchern alternative Wege zum Ei oder zum Geflügel anbieten. Bereits 2012 gründeten einige Erzeuger die Bruderhahn Initiative Deutschland (BID). Inzwischen bieten fast 500 Einzelhändler die BID-Eier an, bei denen je Ei vier Cent dafür verwendet werden, auch die männlichen Küken aufzuziehen und so das nutzlose Töten zu beenden.
Die "ei care"-Initiative vom Erzeugerverband Naturland hingegen setzt auf alte Zweinutzungsrassen wie das französische Bresse-Huhn, um im Sinne des Biolandbaus Eier und Fleisch zu produzieren. Da die Legeleistung des Bresse-Huhns mit 180 bis 200 Eiern jedoch 30 bis 40 Prozent unter der Leistung heute üblicher Legehennen liegt, dürften die "ei care"-Produkte zumindest bis auf weiteres Nischenprodukte bleiben.
Text: André Madaus