Erschienen am 6. September 2012 auf heute.de:
Ausstellerrekord bei der FAIR2012 in Dortmund. Allein in Deutschland hat sich der Umsatz in den letzten drei Jahren verdoppelt. Die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sieht dennoch Steigerungspotential, sagt sie im heute.de-Interview.
heute.de: Fairtrade ist jetzt mit erwachsen geworden - wurde die Welt dadurch besser?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Ja, absolut! Über eine Millionen Kleinbauern und Arbeiter in den verschiedensten Bereichen profitieren davon in mehr als 60 Ländern weltweit. In Deutschland wurden allein im letzten Jahr 477 Millionen Euro für fair gehandelte Produkte ausgegeben, das entspricht einem Jahreswachstum von 16 Prozent. Ich finde, das ist ein Riesenerfolg.
heute.de: Weltweit werden nur 0,001 Prozent des Handels fairabgewickelt. Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ergab: 93,3 Prozent der Verbraucher würden die Marke wechseln, wenn der Produzent Kinder beschäftigt, 88,4 Prozent, wenn Dumpinglöhne gezahlt werden. Warum handeln Verbraucher anders als sie reden?
Wieczorek-Zeul: Zunächst einmal: Fairer Handel ist möglich und funktioniert auch. Wir müssen dafür sorgen, dass fair gehandelte Produkte einen festen Platz im Konsumverhalten der Menschen in den Industrieländern einnehmen. Und es gibt ja bereits eine Menge Initiativen, übrigens auch oft auf lokaler Ebene in zahlreichen Eine-Welt-Läden. Diese wirklich wichtigen Initiativen sollten in ihrem Engagement gestärkt werden, und nicht als "Wollpullifraktion" verspottet, wie es gelegentlich schon mal vorkommt. Wichtig ist auch, dass die Waren im Sinne der ILO-Standards zertifiziert sind. Wenn klar ist, dass Kinderarbeit eingesetzt worden ist, werden Menschen eher Konsequenzen ziehen.
heute.de: Die Fair2012 bietet mit der Sonderschau "Mode und Accesoires" in der am stärksten kritisierten Textilindustrie einen Kontrapunkt. Warum findet man gerade diese Angebote kaum im Handel?
Wieczorek-Zeul: Das müssten Sie mal die Händler fragen. Aber im Ernst, es ist wahrscheinlich wie bei so vielen Angeboten aus dem Fairen Handel: Die Marke selbst ist nun mal nicht so bekannt wie die großen Modefirmen, für Werbung kann ja auch nicht so viel ausgegeben werden. Das hat zur Folge, dass Kunden bei diesen Produkten eher zurückhaltend sind – wenn sie sie denn finden. Wir müssen stärker an die hiesigen Händler appellieren, sich dem Fairen Handel nicht zu verschließen. Michael Otto hat zusammen mit dem Entwicklungsministerium während meiner Zeit als Ministerin die Initiative "Cotton made in Africa" gegründet. Die Waren werden über die Otto-Verkaufswege abgesetzt. Hier wünsche ich mir viele Firmen, die das gleiche tun.
heute.de: Wie wirken sich die aktuellen Steigerungen der Lebensmittelpreise auf normale Bauern und auf Fairtrade-Bauern aus?
Wieczorek-Zeul: Für Fairtrade- und Kleinbauern können sie sich positiv auswirken, denn sie bedeuten tendenziell höhere Einkommen. Insgesamt verursachen die Preisausschläge aber natürlich gerade für die Bauern Probleme, die noch Investitionen tätigen müssen und mit den starken Preisschwankungen zu kämpfen haben. Generell kann man sagen, dass die weltweite Nahrungsmittelspekulation den Hunger der Menschen in Entwicklungsländern verstärkt, denn dadurch werden Grundnahrungsmittel immer teurer.
heute.de: Die Warenströme fairer Produkte ändern sich, nicht mehr nur der "Norden“" ist Abnehmer von Waren aus dem "armen Süden". Kann diese Veränderung der Absatzmärkte einen Aufschwung bewirken?
Wieczorek-Zeul: Das wäre zu hoffen. Diese Entwicklung gibt es ja seit einigen Jahren, ob dies allerdings tatsächlich zu einem Aufschwung führt, lässt sich momentan aus meiner Sicht noch nicht beurteilen.
heute.de: Hand aufs Herz: Was kaufen Sie alles aus fairem Handel?
Wieczorek-Zeul: Sowohl in Fair-Handels-Geschäften als auch im Supermarkt gibt es faire Produkte. Da gibt es viele Anbieter von sehr gutem Kaffee, den kaufe ich mir auch privat. Und Blumen – gerade die fair gehandelten Rosen sind besonders schön und übrigens lange haltbar. In Deutschland bieten mittlerweile ca. 36.000 Supermärkte und Discounter fair gehandelte Waren an - und ich hoffe, es werden immer mehr.
Das Interview führte André Madaus