Erschienen am 6.4.2015 auf heute.de

 

 

Nachhaltige Fischerei

 

"Viele wissen nicht, wie frischer Fisch schmeckt"

 

Deutschland kann seinen Fischbedarf nach Experten-Berechnungen nur teilweise decken - statistisch gesehen muss aufs Jahr gerechnet ab heute jeder Fisch auf deutschen Tellern importiert werden. Initiativen wie "Fisch vom Kutter" setzen auf Nachhaltigkeit. "Man bekommt ein anderes Verhältnis zum Lebenmittel", sagt Sprecher Sturm. 

 

heute.de: Wie ist die Initiative "Fisch vom Kutter" entstanden?

 

Uwe Sturm: Wir haben uns gefragt: Warum kann man nicht in den Hafen gehen, um fangfrischen Fisch direkt vom Kutter zu kaufen? Daraufhin haben sich Menschen, die hier an der Küste leben - Fischer, Verbraucher, Bürgermeister, Künstler, Touristiker und Kulturschaffende - 2008 im Arbeitskreis Fischerei zusammengefunden. Über allem schwebte dabei der Gedanke, die handwerkliche Fischerei in der Region zu stärken, die immer auf Auktionen in Holland oder Dänemark angewiesen waren. Ein Familienbetrieb mit einem Kutter kann finanziell natürlich nicht mit der industriellen Fischerei mithalten. Noch vor zwanzig Jahren gab es an der Ostsee viele kleine Fischereibetriebe und Räuchereien. Das findet man heute nicht mehr.

 

heute.de: Wie funktioniert Fisch vom Kutter genau?

 

Sturm: Über unsere Internetseite informieren die Fischer nachts, während sie noch auf See sind, über ihren Fang und den Ort, wo sie ihn anlanden. So können Restaurants oder Privatkunden das Angebot einsehen und fangfrisch vom Kutter einkaufen. Fischer hier leben vor allem vom Dorsch. Bei einer Auktion bekommen sie für ein Kilo Dorsch zwischen 70 Cent und 1,30 Euro. Beim Verkauf vom Kutter sind es zwischen sechs und acht Euro je Kilo. An einer Fischtheke im Supermarkt kostet Dorsch zwischen 17 und 19 Euro das Kilo - daran erkennt man die hohe Gewinnspanne im Handel und wie wenig beim Fischer bleibt. Also profitieren Fischer und Verbraucher. Wenn ein Fischer nur die Menge fängt, die er an dem Tag tatsächlich verkaufen kann, hat er immer noch mehr im Portemonnaie, als wenn er seine Quote ausfischt.

 

heute.de: Werden dadurch auch die Fischbestände geschont?

 

Sturm: Die Fangquoten werden von den Genossenschaften verteilt. Wenn Quoten nicht ausgefischt werden, werden sie an andere Betriebe weitergegeben. Das ist ein kleines Problem. Aber an erster Stelle steht für uns, dass gar nicht mehr so viel gefangen werden muss. Kleine Fischkutter haben außerdem eine Beifangquote von zwei bis fünf Prozent. Das ist verschwindend gering im Vergleich zur industriellen Fischerei, die bis zu 80 Prozent Beifang hat. Beifang muss zwar nach der neuen Verordnung angelandet werden, wo er zu Fischmehl für Aquakulturen verarbeitet wird. Aber dieser Beifang, der dem Ökosystem entzogen wird, ist die Lebensgrundlage für die natürliche Fischerei. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit Fischern, Umweltverbänden und dem Bundesamt für Naturschutz Workshops veranstaltet, um nach alternativen Fangtechniken zu suchen. Damit soll das gesamte Ökosystem weniger belastet werden. Einige Fischer haben in diesem Rahmen alternative Methoden wie Fischfallen und Langleinen mit an Bord genommen und ausprobiert. Langleinen waren noch im 19. Jahrhundert die übliche Fangtechnik. Das Erbe dieser handwerklichen Erfahrungen wollen wir mit einbinden.

 

heute.de: Anders als an der Fischtheke bekommt man vom Kutter aber nicht immer den gewünschten Fisch.

 

Sturm: Nein, aber wir wollten die Menschen eben auch über die Küstenkultur aufklären, die zum handwerklichen Fischfang gehört. Wenn man mal bei schlechtem Wetter zum Fischkauf im Hafen war, wird einem klar, dass es wohl nicht so einfach war, den Fisch an diesem Tag zu fangen. Man bekommt ein ganz anderes Verhältnis zum Lebensmittel. Und bis heutzutage ein Fisch an die Theke kommt, ist er schon vier bis fünf Tage unterwegs - und wird da als frisch verkauft. Viele Leute wissen gar nicht mehr, wie wirklich frischer Fisch schmeckt und wie man ihn zubereitet. Deshalb arbeiten wir auch mit Restaurants zusammen, die regionale Küche anbieten, oder bringen Schulklassen in den Hafen, um Kindern alles rund um den Fischfang näherzubringen.

 

Unser Projekt ist natürlich regional beschränkt. Aber auch anderswo sollten Verbraucher, wenn sie die Möglichkeit haben, handwerkliche Fischereibetriebe unterstützen, anstatt Industrieware zu kaufen.

 

Das Interview führte André Madaus

 

 

 

Druckversion | Sitemap
© André Madaus