Erschienen am 17. Oktober 2012 auf heute.de:

WELTERNÄHRUNG

Weniger Steak - weniger Hunger

Interview mit Welthungerhilfepräsidentin Barbara Dieckmann

Du isst meinem Fleisch das Futter weg - diesen Scherz müssen sich Vegetarier mitunter anhören. Tatsächlich gilt: Hunger hat zwar viele Ursachen - aber eine wichtige ist die weltweite Fleischproduktion. Wir müssen unsere Ernährungsgewohnheiten überdenken, mahnt Welthungerhilfe-Präsidentin Bärbel Dieckmann im heute.de-Interview.

heute.de: Unser Fleisch macht Hunger, sagen Experten. Nach neuesten Zahlen leiden 870 Millionen Menschen unter Mangelernährung, vor allem in Entwicklungsländern. Hängt unser Fleischkonsum direkt damit zusammen?

 

Bärbel Dieckmann:Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Der Hunger in der Welt hat viele Ursachen, wie Kriege, Naturkatastrophen, Klimawandel und ungerechte Welthandelsstrukturen. Ein ganz wichtiger Faktor ist auch die Produktion von Fleisch, denn die Herstellung tierischer Produkte ist ressourcenintensiv ...

 

heute.de: ... das heißt konkret?

 

Dieckmann: ... Für die Tierhaltung werden 80 Prozent des globalen menschlichen Wasserverbrauchs eingesetzt. Und nur noch 47 Prozent der Weltgetreideproduktion wird direkt für die Ernährung genutzt. Bei der Produktion von Fleisch gehen zudem viele Kalorien verloren, im Durchschnitt benötigt man für die Herstellung von einer tierischen Kalorie sieben pflanzliche Kalorien als Futter. Würde man also das gesamte Tierfutter eines Jahres als Nahrungsmittel für Menschen nutzen, wäre der Kalorienbedarf von 3,5 Milliarden Menschen gedeckt!


heute.de: Die EU führte 2011 für die Fleischproduktion 35 Millionen Tonnen Sojabohnen und Sojaschrot ein, vor allem aus Südamerika. Was bedeutet das für die Menschen dort?

 

Dieckmann: Das Land, auf dem die Futtermittel angebaut wurden, ist für die Produktion von Nahrungsmitteln verloren. Und diese Futtermittel stammen in der Regel aus großen Monokulturen, nicht von kleinen Bauern. Zwar werden auf diese Weise auch Arbeitsplätze geschaffen, aber viele Bauern müssen trotzdem Nahrungsmittel zukaufen, die sie sich durch die weltweit gestiegenen Preise kaum noch leisten können. Für den Anbau von Futtermitteln wird zudem tropischer Regenwald gerodet und damit die grüne Lunge unserer Erde zerstört.

 

heute.de: In welchem Ausmaß?

 

Dieckmann: 70 Prozent des früheren Amazonaswaldes sind inzwischen Weideflächen. Dies fördert den Klimawandel, der zu Ernteverlusten durch Dürren oder Überschwemmungen führt. Ein schrecklicher Kreislauf, der vor allem zu Lasten der Kleinbauern in Entwicklungsländern geht.

 

heute.de: Experten fordern, dass die Aufzucht von Tieren wieder stärker an die zur Verfügung stehende landwirtschaftliche Fläche hierzulande gekoppelt werden müsse. Aber lässt sich das Rad der Globalisierung überhaupt soweit zurückdrehen?

 

Dieckmann: Mit Sicherheit lässt sich das Rad der Globalisierung im Ganzen nicht zurückdrehen. Die einfachen Menschen in Entwicklungsländern haben an der Globalisierung jedoch kaum Anteil. Vielmehr leiden sie unter den negativen Auswirkungen. Zum Beispiel werden Geflügelteile, die bei uns nicht verzehrt werden, billig nach Afrika exportiert, was dort die lokale Wirtschaft ruiniert. Deswegen muss die lokale und regionale Produktion in Entwicklungsländern vor billigen Importen geschützt werden.

 

heute.de: Früher war Fleisch ein Luxusgut, heute essen 85 Prozent der Deutschen täglich oder mehrmals die Woche Fleisch. Wie lange lässt sich dieser Lebensstil noch aufrechterhalten?

 

Dieckmann: Das ist kein rein deutsches Problem. Weltweit steigt der Fleischkonsum. Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO zufolge wird sich die weltweite Nachfrage nach Fleisch bis zum Jahr 2050 auf 570 Millionen Tonnen erhöhen. Das wäre eine Steigerung von 70 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000. Dies gilt es unbedingt zu verhindern! Deshalb sollten wir unsere Ernährungsgewohnheiten überdenken und anderen Ländern ein Vorbild sein.

 

heute.de: Sollten wir nur noch Bio-Fleisch kaufen? Oder besser gleich alle Vegetarier werden?

 

Dieckmann: Natürlich muss nicht jeder Mensch Vegetarier werden, aber jeder sollte über seinen eigenen ökologischen Fußabdruck nachdenken. Die Reduktion des Fleischkonsums ist ein wichtiger Schritt. Bremen macht es zum Beispiel vor: Jeden Donnerstag bleibt der Teller fleischfrei – in 78 Kitas, zahlreichen Schulen, Großküchen, Krankenhäusern und auch im Bremer Rathaus. Es müsste mehr solcher Initiativen geben! Generell sollten wir Waren aus fairem oder regionalem Handel bevorzugen, das schont Ressourcen. Bio-Fleisch ist immer vorzuziehen, weil die Tiere artgerecht gehalten werden.

 

Das Interview führte André Madaus

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© André Madaus