Erschienen am 20.5. 2014 auf heute.de
Es ist das größte Fusions-Experiment der Welt: Wendelstein 7-X in Greifswald, seit 1996 geplant und gebaut, geht in die Vorbetriebsphase. Die Kernfusion sei eine sichere, saubere Energiequelle der Zukunft, sagt der wissenschaftliche Leiter der Anlage, Thomas Klinger, im heute.de-Interview.
heute.de: Herr Klinger, wie alt ist die Idee der Kernfusion?
Thomas Klinger: Die ersten wichtigen Entdeckungen zur Fusion hatten mit der Forschung zur Physik der Sonne zu tun. 1928 hat George Gamov gezeigt, dass der so genannte Tunneleffekt erlaubt, bei sehr hohen Temperaturen Wasserstoff zu verschmelzen. Auf dieser Basis hat 1938 der deutsche Physiker Hans Bethe die wesentlichen kernphysikalischen Vorgänge in der Sonne erklären können. 1951 wurden in Russland und in den USA die beiden wichtigsten Konzepte, um die Vorgänge im Inneren der Sonne auf der Erde zu realisieren, erstmalig vorgeschlagen. Seither hat intensive Forschung diese Konzepte – Tokamak und Stellarator – sehr weit entwickelt.
heute.de: Wann kann man mit einer kommerziellen Nutzung rechnen und was versprechen Sie sich davon?
Klinger: In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts bestehen gute Chancen, die Fusion als Energiequelle technologisch zu erschließen. Es handelt sich dabei um nichts weniger als eine neue, bisher noch nicht verfügbare Primär-Energiequelle. Sie ist CO2-neutral, aus sich heraus sicher und der Brennstoff ist für jeden verfügbar. Zudem sind Kraftwerke, die auf dem Prinzip der Fusion basieren, dauerlastfähig und können mit ihrer hohen Leistung die Ballungsräume unserer Gesellschaft versorgen.
heute.de: Was ist der Wendelstein 7-X überhaupt und wie unterscheidet er sich von ITER?
Klinger: Wendelstein 7-X ist eine Experimentieranlage vom Bautyp Stellarator. Das kommt von "Stella", dem lateinischen Wort für Stern. Im Gegensatz zum Testreaktor ITER, einem Großexperiment vom Typ Tokamak, wird hier das Magnetfeld, das den heißen Brennstoff einschließt, ganz überwiegend durch speziell geformte Magnetfeldspulen erzeugt. Im Vergleich zum Konzept der Tokamaks verspricht dieser Ansatz eine bessere Stabilität des Betriebes und eine dauerhafte Erzeugung des aufgeheizten Wasserstoffgases, des so genannten Plasmas. Anders als ITER will man mit Wendelstein 7-X aber noch keine Fusionsenergie erzeugen, sondern die Kraftwerkstauglichkeit seines neuartigen Magnetfeldes testen.
heute.de: Kritiker werfen der Fusionsforschung ja gerne vor, zu teuer zu sein. In welchen Dimensionen werden sich die weiteren Kosten bewegen, bevor sich tatsächlich Energie aus der Kernfusion gewinnen lässt und sich die Investitionen eine Tages auszahlen?
Klinger: Die Investitionskosten für Wendelstein 7-X beliefen sich auf 370 Millionen Euro, die Kosten für das gesamte Institut in Greifswald von 1995 bis 2013 auf rund eine Milliarde. Die Investitionskosten für den nächsten Schritt der internationalen Fusionsforschung, den Testreaktor ITER, der zeigen soll, dass Energiegewinnung durch Fusion möglich ist, belaufen sich auf 15 Milliarden Euro. Diese Summe wird in der zehnjährigen Bauzeit von den sieben internationalen ITER-Partnern EU, Japan, USA, Russland, China, Südkorea und Indien aufgebracht. Ist ITER erfolgreich, wäre der nächste Schritt ein Demonstrationsfusionskraftwerk...
heute.de: ...genannt DEMO.
Klinger: Diese Anlage soll alle Leistungen eines Kraftwerks demonstrieren und Strom ins Netz einkoppeln. Für DEMO haben erste konzeptionellen Arbeiten zwar begonnen. Bis man jedoch einen festen Plan hat, wird noch einige Zeit vergehen; eine belastbare Kostenschätzung gibt es daher zurzeit nicht. Man kann jedoch davon ausgehen, dass DEMO geringere Investitionskosten als ITER haben wird.
heute.de: Welche Strahlung entsteht bei der Kernfusion, und wie gefährlich kann sie für Menschen werden?
Klinger: Fusion ist ein nuklearer Prozess, bei dem leichte Wasserstoff-Kerne zu Helium verschmelzen. Helium ist ein harmloses Edelgas. Allerdings entstehen bei dem Verschmelzungsprozess Neutronen, die durch dicke Betonwände abgeschirmt werden müssen. Strahlenschutz nach den geltenden Gesetzen ist daher eine Selbstverständlichkeit. Gefahren für die Menschen bestehen dadurch keine. Wichtig ist, dass bei der Fusion kein langfristig hochverstrahlter Abfall erzeugt wird, der endgelagert werden muss. Das Kraftwerk muss nach dem Abschalten für etwa hundert Jahre ruhen, bevor seine Baumaterialien aufbereitet und wieder verwendet werden können.
heute.de: Wäre bei einem Kernfusions-Kraftwerk eine vergleichbare Katastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima möglich?
Klinger: Nein, denn beim kleinsten Fehler "erlischt" das Plasma und der Fusionsprozess kommt zum Erliegen. Hinzu kommt, dass die Brennkammer eines Fusionskraftwerks gerade einmal so viel Brennstoff enthält, wie für eine Minute Brenndauer erforderlich ist. In einem Kernspaltungs-Kraftwerk ist dagegen der Brennstoff für ein bis zwei Jahre bevorratet, was in unkontrollierten Situationen problematisch werden kann.
Das Gespräch führte André Madaus.