Erschienen am Montag, 26.9.2011 auf heute.de
von André Madaus
Segensreiche Gentechnik auf dem Acker? Mehr als 100.000 Unterzeichner einer Petition sehen das nicht so: Sie verlangen einen Zulassungsstopp. Die Risiken würden nicht hinreichend geprüft, sagen sie. Heute prüft der Bundestag ihr Anliegen.
"Ich habe die Petition unterzeichnet, weil es um die Vielfalt der Arten geht" - so schreibt einer der Unterzeichner im Forum der Online-Petition. Er und seine 104.537 Mitstreiter fordern von der Bundesregierung, sich in Brüssel für einen Zulassungsstopp neuer gentechnisch veränderter Pflanzen einzusetzen. Das Zulassungsverfahren der EU prüfe Umwelt- und Gesundheitsrisiken allenfalls mangelhaft und berücksichtige soziale und wirtschaftliche Schadwirkungen nicht, so die Begründung.
Der Vorwurf ist nicht neu: Schon 2008 hatten selbst die EU-Umweltminister Mängel im Verfahren der zuständigen Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit angemahnt. Anstrengungen für eine Reform seien jedoch nicht erkennbar, sagt Felix Prinz zu Löwenstein. Der Biolandwirt und Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft hatte die Petition eingebracht. Löwenstein hält einen europäischen Weg gleichwohl für möglich: "Weil wir in Europa eine Wahlfreiheit haben. In den USA können sie nicht wissen, ob sie Gentechnik im Essen haben oder nicht."
Kommt nach dem Atom-Aus auch das Ende der so genannten grünen Gentechnik? Beliebt ist sie in Deutschland zumindest nicht: In Umfragen fällt die Ablehnung mit etwa 80 Prozent ähnlich deutlich aus wie bei der Kernenergie. Die außergewöhnlich vielen Unterschriften spiegeln diese Haltung wider. Schon jetzt findet in Deutschland bis auf zwei Hektar in einem Versuchsgut in Sachsen-Anhalt kein Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen mehr statt - und das, obwohl die Bundesregierung bei Amtsantritt grüne Gentechnik "als wichtige Zukunftsbranche für Forschung, Wirtschaft und Landwirtschaft" gelobt hatte. In ganz Europa werden nur auf 0,1 Prozent der Ackerfläche Genpflanzen angebaut.
Eine Entwicklung, die Lothar Willmitzer bedauert: Das schlechte Image der Technologie beruhe auf den "diffusen Ängsten der Menschen", die vor allem dann zum Tragen kämen, wenn es um Nahrungsmittel gehe, sagt der geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam. Neben der Sorge um Abhängigkeiten von allzu mächtigen Saatgutkonzernen wie Monsanto oder BASF sei das vor allem die Angst vor gesundheitlichen Schäden. "Es gibt kein einziges in der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkanntes Beispiel, wonach durch den Einsatz grüner Gentechnik Natur, Mensch oder Tier zu Schaden gekommen wären", beschwichtigt Willmitzer.
Die Gentechnik-Gegner sehen das anders. Sie glauben, dass auf Feldern mit Genpflanzen letztlich mehr statt weniger Pflanzengift lande. Vor allem für das im Monsanto-Herbizid Roundup enthaltene Gift Glyphosat gebe es wissenschaftliche Belege für Gesundheitsrisiken. Zudem existiere bislang keine Nutzpflanze, die durch gentechnische Veränderungen besonders ertragreich oder gar an Hitze oder Dürre angepasst wäre, so die Argumentation der Gentechnik-Skeptiker.
Auch der Potsdamer Forscher Willmitzer gibt zu, dass ein alle Skeptiker überzeugendes Produkt aus den Labors der Pflanzengenetiker zumindest für Europa nicht in Sicht sei. Immerhin: In zwei bis drei Jahren, so der Molekularbiologe, könnte in Asien der "Golden Rice" erstmals im Freiland angebaut werden. Diese Reissorte mit erhöhtem Betacarotin-Gehalt soll unterernährten Kindern helfen. "Dann müssen sich Greenpeace und BUND neu positionieren", glaubt Willmitzer.
Bis dahin geht die längst zum Glaubenskrieg mutierte Debatte in Deutschland weiter. Gentechnik-Gegner schöpfen ihre Hoffnung auf einen "zweiten Ausstieg" nach dem Atom-Aus auch aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Der EuGH hatte Anfang September den Verkauf von Honig mit Pollen nicht zugelassener gentechnisch veränderter Pflanzen gestoppt.
Ob die Forderung der 100.000 Petitionsunterzeichner bei den Abgeordneten heute auf offene Ohren stößt, das ist fraglich: Erst vergangene Woche hatte der Agrarausschuss einen Antrag der SPD abgelehnt, Verbraucherinteressen stärker im Gentechnikgesetz zu verankern. Ab 2012 sind Petitionen auch auf europäischer Ebene möglich. Vielleicht müssen die Kritiker ihr Anliegen dann erneut vorbringen - direkt vor dem europäischen Parlament.