Erschienen am 26.04.2020 auf heute.de
Die Verwandten des Coronavirus
Wie Epidemien die Geschichte beeinflussten
Pocken, Pest oder Typhus haben in der Geschichte oft Schicksal gespielt. Die Folgen von Epidemien waren immer katastrophal, hatten manchmal aber auch ihr Gutes.
Thukydides beschrieb Symptome wie Husten, Erbrechen und Durchfall, an denen auch er selbst litt. Der Geschichtsschreiber überstand die Krankheit und konnte so beobachten, dass die Überlebenden nicht erneut krank wurden: Es ist der älteste bekannte Hinweis darauf, dass eine überstandene Infektion zu Immunität führen kann.
Rund ein Viertel der Einwohner Athens starb jedoch, unter ihnen auch der berühmte Staatsmann Perikles. Hinter der Epidemie könnte der Typhus-Erreger stecken, wie Untersuchungen an Zähnen von Opfern aus Massengräbern jener Zeit nahelegen. Die Seuche dürfte zu Spartas Sieg über Athen beigetragen und das Ende des klassischen Zeitalters im antiken Griechenland eingeleitet haben.
Die nach dem oströmischen Kaiser Justinian I. benannte Pest (541-770) wurde tatsächlich von Yersinia pestis ausgelöst: derselbe Erreger, der im Mittelalter den Schwarzen Tod brachte. 2010 wiesen Forscher nach, dass die Pestbakterien schon damals von China über das Rote Meer und Ägypten in den Mittelmeerraum und bis Nordeuropa gelangten.
Als die Epidemie 541 n. Chr. Konstantinopel traf, hatte Justinian gerade weite Teile des längst verlorenen weströmischen Reiches zurückerobert. Viele Historiker gehen davon aus, dass die hohen Todeszahlen seine Pläne zur Wiederherstellung des Reiches, der Renovatio imperii, langfristig durchkreuzten.
Nicht wenige sehen in der Pest, die bis 770 in Abständen von 15 bis 25 Jahren wiederkehrte, sogar einen wesentlichen Faktor für das endgültige Ende der antiken Zivilisation.
Im Spätmittelalter erreichte die Beulenpest (1347-1353) Europa erneut, Flöhe auf Ratten brachten sie auf Handelsschiffen aus dem Osten mit. Zu den schrecklichen Folgen dieser Epidemie gehören die Pogrome an Juden, die man als Brunnenvergifter verantwortlich machte: Verschwörungstheorien machten in ganz Europa die Runde.
Der extreme Bevölkerungseinbruch hatte aber auch positive Effekte. Es kam zu gesellschaftlichen Umwälzungen wie dem Ende der Leibeigenschaft und einem Anstieg der Löhne. Der Verlust an menschlicher Arbeitskraft beförderte außerdem zahlreiche mechanische Erfindungen wie den Buchdruck.
Der Schwarze Tod inspirierte Giovanni Boccaccio zu seinem Meisterwerk Dekameron, das als Ursprung der italienischen Prosa gilt und spätere Literaten wie Goethe, Shakespeare oder Lessing beeinflusst hat.
Der spanischen Eroberung Mittelamerikas durch Hernán Cortés 1521 folgte ein Massensterben: Von den ursprünglich 25 Millionen Einwohnern des Aztekenreiches überlebte nur etwa eine Million.
Die wenigsten Menschen starben jedoch bei den Kämpfen mit den Konquistadoren: Die Spanier brachten aus Europa Krankheiten mit, gegen die die einheimische Bevölkerung nicht immun war. Die meisten Leben forderte eine lange Zeit unbekannte Seuche, die die Azteken Cocoliztli (1545-1550, 1576-1578) nannten. Ihr fielen nach Schätzungen rund 15 Millionen Menschen zum Opfer.
Ging man zunächst von Masern oder Pocken als Ursache der Epidemie aus, fanden Forscher 2018 das dem Typhus verwandte Bakterium Salmonella enterica Paratyphi C. auf dem einzig verbürgten Opfer-Friedhof der Azteken.