Erschienen am 10.2. 2016 auf heute.de

 

Bio-Fachmesse

 

Was heißt schon "natürlich"?

 

Das Image der Lebensmittelindustrie ist ziemlich ramponiert. Zu viele Zusatzstoffe, darunter auch gesundheitlich umstrittene, so die Kritiker. Auf der Messe Biofach werben viele Hersteller deshalb für ihre naturbelassenen Produkte. Aber wie viele Zusatzstoffe stecken in Bio-Lebensmitteln?

 

Wenn in Nürnberg die weltgrößte Messe für Bio-Lebensmittel beginnt, dürften die rund 2.500 Aussteller der Biofach bestens gelaunt sein: Der Markt boomt seit Jahren, die Umsätze des deutschen Bio-Großhandels sind 2015 um satte 11,4 Prozent auf erstmals über drei Milliarden Euro gestiegen. Deutschland ist inzwischen der zweitgrößte Markt für Biolebensmittel auf der Welt. Anders ausgedrückt: Immer mehr Deutsche greifen immer öfter zu Bio-Produkten.

 

Bio: Deutlich weniger Zusatzstoffe

Beim Bio-Trend spielt auch die zunehmende Ablehnung industriell produzierter Nahrung eine Rolle. Verbraucher wollen mehr natürlichen Geschmack und weniger Zutaten aus dem Labor. Kritische Berichte über jede Menge Zusatzstoffe in Lebensmitteln haben Konjunktur: Der Fernsehkoch von heute zeigt längst nicht mehr nur wie man kocht, er klärt seine Zuschauer gerne auch mal über die Tricks der Lebensmittelindustrie auf.

 

Insbesondere bei herkömmlichen Lebensmitteln ist die Liste der von der EU erlaubten und genau geregelten Zusatzstoffe mit der E-Nummer ziemlich lang. "Für die konventionelle Lebensmittelverarbeitung sind zurzeit 324 Stoffe zugelassen, dazu gehören Farbstoffe, Konservierungsstoffe oder Verdickungsmittel", so Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Im Biobereich dürfen lediglich 44 Stoffe eingesetzt werden. Insbesondere künstliche Farbstoffe, Geschmacksverstärker oder Süßstoffe sind nicht erlaubt. Gentechnik oder Nanotechnologie sind in Biolebensmitteln grundsätzlich verboten."

 

Ganz ohne geht’s nicht

Aber auch Bio kommt ohne Zusatzstoffe nicht ganz aus. Dabei muss zwischen Zusatzstoffen, die im fertigen Produkt bleiben und gegessen werden und so genannten Technischen Hilfsstoffen unterschieden werden. Letztere werden zur Verarbeitung der Rohstoffe benötigt. Speziell Fertigprodukte könnten ohne chemische Helferlein oft weder hergestellt noch haltbar gemacht werden. Die meisten der dabei eingesetzten Stoffe wie Milchsäure oder Johannisbrotkernmehl, das als Verdickungsmittel eingesetzt wird, seien unbedenklich, so Silke Schwartau. "Aber Nitritpökelsalz, das die Wurstwaren rötlich macht, steht unter Krebsverdacht. Es wird generell geraten, wenig gepökelte Lebensmittel wie zum Beispiel rötliche Wurstwaren zu essen."

 

Während die EU-Bioverordnung Nitritpökelsalz erlaubt, verzichten einige deutsche Bio-Anbauverbände wie Bioland oder Demeter ganz bewusst darauf. Bioland-Produkte dürfen nur 23 Zusatzstoffe enthalten, bei Demeter sind es 18. Im Unterschied zur EU-Öko-Norm finden sich in Demeter- und Bioland-Waren zum Beispiel kaum "natürliche Aromen": Dabei handelt es sich meistens um hochverarbeitete Stoffe, die mit Hilfe von Lösungsmitteln aus natürlichen Rohstoffen, aber nicht zwingend aus Lebensmitteln gewonnen werden. Das "natürliche Aroma" eines Erdbeerjoghurts mit EU-Bio-Siegel beispielsweise wird häufig durch das Zusetzen von mikrobiellem Lab erzeugt, das von Schimmelpilzen gewonnen wird. Das bedeutet zwar nicht, dass die Schimmelpilze im Joghurt landen. Aber von echten Erdbeeren fehlt eben auch jede Spur.

 

Keine Kennzeichnungspflicht für Enzyme

Hersteller sparen durch die zunehmende Aromatisierung von Lebensmitteln teure Rohstoffe und erhöhen so ihre Gewinnspanne. Verbraucher zahlen an der Kasse vielleicht etwas weniger, tragen aber die anderen Kosten: Aromen regen zum Mehressen an, sagen Experten, und wichtige Bestandteile wie Vitamine und Mineralstoffe fehlen. Überaromatisierte Lebensmittel führen außerdem zu einem Einheitsgeschmack. Gerade Kindern schmecken naturbelassene Lebensmittel oft nicht mehr.

 

"Verbraucher bringen Bio-Produkten ein besonderes Vertrauen entgegen", weiß Silke Schwartau aus vielen Gesprächen. "Aber diese sogenannten Vertrauenseigenschaften können sie nicht selbst kontrollieren. Umso wichtiger ist eine transparente und ehrliche Kennzeichnung." Die Verbraucherschützerin bemängelt, dass es etwa für Enzyme noch keine Kennzeichnungspflicht gibt. Enzyme werden bei Backwaren eingesetzt, um Verbrauchern ein Produkt vorzugaukeln, das frisch zubereitet aus dem Ofen kommt. "Tatsächlich werden aber Teiglinge aufgebacken", sagt Schwartau.  "Was drin ist muss auch draufstehen - das sollte für konventionelle, aber natürlich auch für Bio-Backwaren gelten."

 

Verbraucherschützer fordern Transparenz

Lebensmittelchemiker arbeiten ständig an neuen Verfahren und Stoffen. Von der EU wünscht sich Silke Schwartau deshalb nicht nur eine regelmäßige Aktualisierung der Listen mit zugelassenen Stoffe, sondern vor allem Transparenz. „Die wissenschaftlichen Gutachten, die einer Zulassung zu Grunde liegen, sollten transparent sein. Wichtig ist für uns auch immer: Wer hat die Studie bezahlt und welche wirtschaftlichen Interessen stecken dahinter?“


Wer sich mit den lästigen Fragen nach Zusatzstoffen in seinem Essen nicht herumschlagen möchte, kann natürlich möglichst wenig verarbeitete Lebensmittel kaufen. Fazit: Die fertige Bio-Pasta ist okay, aber die aus frischen Bio-Zutaten vom Wochenmarkt selbst zubereitete – unschlagbar.

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© André Madaus