Erschienen am 7.1.2015 auf heute.de
Vom Habicht über den Gewöhnlichen Teufelsabbiss bis zu einem Pilz, der wie eine Koralle aussieht: Umweltverbände wählen regelmäßig Tiere und Pflanzen des Jahres. Die Bilderserie zeigt die Arten 2015. Im heute.de-Interview erklärt Helmut Opitz vom Naturschutzbund Deutschland, wie sie ausgewählt werden.
heute.de: Herr Opitz, wie fing das alles an mit den "Jahreswesen"?
Helmut Opitz: Beim baden-württembergischen Landesverband des NABU kam Anfang der 70er Jahre die Idee auf, der Öffentlichkeit einen Vogel des Jahres vorzustellen. Erstes Naturobjekt wurde 1970 der Graureiher, der damals noch Fischreiher hieß. Diese erste Wahl war noch regional. Ich habe die Kampagne 1971 übernommen, seitdem wird sie bundesweit vom NABU durchgeführt.
heute.de: Vogel des Jahres 2015 ist der Habicht. Warum?
Opitz: Jeder Vogel des Jahres ist Botschafter für ein aktuelles Naturschutzproblem. Beim Habicht ist es die illegale Verfolgung von Greifvögeln. Abgeschossene, vergiftete oder gefangene Habichte sind nach wie vor trauriger Alltag, obwohl die Jagd auf ihn seit den 1970er Jahren verboten ist. Von 2004 bis Mitte 2014 sind bundesweit mehr als 680 Fälle illegaler Greifvogelverfolgung dokumentiert worden. Mindestens 1.130 Greifvögel und Eulen wurden gefangen, verletzt, getötet, abgeschossen oder in ihren Bruten gestört. Dabei muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.
heute.de: Geht es bei der Wahl immer um den Schutz einer Art?
Opitz: Der Schutzgedanke stand am Anfang stark im Vordergrund. Der Graureiher wurde damals vor allem von Fischern und Teichwirten intensiv bejagt. Natürlich spielt auch heute der Schutz von Arten eine wichtige Rolle, letztlich muss die gesamte Biodiversität geschützt werden. Aber auch die Akzeptanz der Öffentlichkeit ist sehr wichtig.
Würde man einen schützenswerten, aber sehr seltenen Vogel wählen, hätten wir wahrscheinlich weniger Resonanz und die Kampagne würde ins Leere laufen. Es sollte eine Art sein, mit der die Menschen etwas anfangen können, die eine gewisse Sympathie und Empathie hervorruft. Der Grünspecht war Vogel des Jahres 2014, weil er eine attraktive, bekannte Art ist, mit der wir für einen bestimmten Lebensraum werben konnten. Gefährdet ist er nicht, als eine der wenigen Arten nimmt er sogar zu. Aber es geht bei der Wahl auch darum zu verhindern, dass ein Tier irgendwann auf die Rote Liste kommt.
heute.de: Welche Kriterien gelten noch bei der Wahl?
Opitz: Zum Beispiel müssen auch die NABU-Gruppen vor Ort etwas mit dem Vogel anfangen können. Es nützt nichts, wenn ich eine hoch gefährdete Art aus der norddeutschen Tiefebene ausrufe, die in Bayern nicht vorkommt. Die Art soll ja auch durch die Öffentlichkeitsarbeit der Ortsgruppen in das Bewusstsein der Menschen gebracht werden. Arten, die nur sehr regional vorkommen, können daher nicht gewählt werden. Insofern ist der reine Schutzgedanke nicht immer der richtige.
heute.de: Wie profitieren die Tiere und Pflanzen von der Wahl?
Opitz: Das ist schwer zu beantworten. Es sind oft Langzeitwirkungen, die nicht direkt messbar sind. Wir können heute nicht sagen, ob der Grünspecht von der Wahl profitiert hat. Manchmal kann man Effekte direkt ablesen, wenn Schutzgebiete eingerichtet oder sogar Gesetze erlassen werden.
Beim Kormoran hat die Wahl 2010 zumindest in einigen Bundesländern zu einer Reduzierung der Abschüsse geführt, in anderen jedoch nicht. Insofern war es ein Teilerfolg. Ein anderes Beispiel: Der Wanderfalke war 1971 der erste bundesweite Vogel des Jahres. Einige Jahre später wurden alle Greifvögel unter Schutz gestellt. Es ist aber schwer zu sagen, ob die Wahl des Wanderfalken dafür der Auslöser war.
Das Interview führte André Madaus