Erschienen am 16.4. 2014 auf heute.de

 

Vier Jahre nach Deepwater Horizon

 

Studie: Ölpest-Risiko an der Nordsee steigt

 

Vor vier Jahren explodierte im Golf von Mexiko die Ölplattform Deepwater Horizon. Ein ähnliches Szenario wäre laut einer Studie auch in der Nordsee möglich. Viele Bohrinseln seien veraltet und störanfällig, Hunderte Pannen und eine Reihe von "Beinahe-Unfällen" zeigen: Das Risiko steigt.


Im April 2010 explodierte im Golf von Mexiko die BP-Bohrinsel Deepwater Horizon. Elf Menschen wurden getötet, wochenlang strömten Hunderte Millionen Liter Rohöl ins Meer. Experten warnen jetzt vor einem vergleichbaren Szenario in der Nordsee.

 

Studie: Nordsee-Anlagen sind störanfällig

Einer Studie des FachdienstesEnergyComment zufolge steigt dort das Risiko einer Ölkatastrophe, weil viele der Anlagen inzwischen veraltet und störanfällig sind. Von einer Ölpest mit verheerenden ökologischen und ökonomischen Folgen wären im schlimmsten Fall auch deutsche Küsten bedroht.

 

Auf rund 450 Öl- und Gasplattformen werden in der Nordsee unterirdische Vorkommen angezapft, über 10.000 Kilometer Pipelines transportieren die Rohstoffe ab. Der größte Teil der Plattformen ist seit 20, ein Drittel sogar seit rund 30 Jahren in Betrieb. Häufige Reparaturen verursachen hohe Kosten. Da die meisten Öl- und Gasfelder nahezu erschöpft sind, haben die Eigentümer wenig Interesse, große Summen in die Infrastruktur zu investieren.

 

Beihnah-Unfälle auf Bohrinseln

Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn, deren Fraktion die Studie in Auftrag gegeben hat, sieht einen kritischen Punkt erreicht. "Wenn man jetzt nicht in die Sicherheit der Anlagen investiert, steigt die Gefahr massiv, dass es früher oder später eine größere Öl-Katastrophe in der Nordsee gibt“, befürchtet die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag. "Auf den Bohrinseln in der Nordsee scheint eine ähnliche Sorglosigkeit zu herrschen, die die Explosion der Bohrinsel Deep Water Horizon mit verursacht hat.“

 

Zuletzt gab es eine ganze Reihe an "Beinahe-Unfällen": Auf der norwegischen Riesen-Bohrinsel Gullfaks C verhinderten 2011 nach Angaben der Aufsichtsbehörden nur "glückliche Umstände" das unkontrollierte Ausströmen von Öl und Gas, einen sogenannten Blowout. Weitere schwere Zwischenfälle gab es auf den schottischen Bohrinseln Gannet Alpha im Jahr 2011 und Elgin-Franklin 2012.

 

Hunderte Öllecks und Pannen

Hinzu kommen meldepflichtige unerlaubte Einleitungen von Öl und Chemikalien. Diese kleineren Störfälle werden von der Oslo-Paris-Kommission zum Schutz des Nordost-Atlantiks (OSPAR) dokumentiert. Den Statistiken zufolge gab es in den vergangenen Jahren jeweils rund 500 Lecks oder Pannen. Allein 2011 gelangten so fast 63 Tonnen Öl und mehr als 700 Tonnen Chemikalien ins Meer.EU-Energiekommissar Günther Oettinger verwies auf Nachfrage auf die neuen Sicherheitsbestimmungen, die von der EU-Kommission nach Deepwater Horizon erstellt wurden. "Die neuen Rechtsvorschriften sind seit Sommer 2013 in Kraft und führen zu einer europäischen Risikobewertung, die ständig dadurch verbessert wird, dass neue Technologien, neues Know-how und neue Risiken berücksichtigt werden", sagt Oettinger.

 

Die neuen Richtlinien müssen jedoch zunächst von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Für bestehende Anlagen gilt dabei eine Frist von fünf Jahren. Insbesondere Großbritannien hat großes Interesse, den dabei gegebenen Spielraum zu nutzen und die Regeln zu lockern. Der Branchenverband Oil & Gas UK schätzt, dass das Geschäft mit dem Öl rund 48 Milliarden Euro zur britischen Wirtschaftsleistung beiträgt.

 

"Ölfirmen investieren zu wenig in die Sicherheit"

Obwohl die Ölfördermenge in der Nordsee in den letzten zehn Jahren um die Hälfte eingebrochen ist, investierten Öl- und Gasunternehmen im vergangenen Jahr knapp 16 Milliarden Euro in die Förderung aus der britischen Nordsee – so viel wie nie zuvor. Da die südlichen Felder zur Neige gehen, verschiebt sich der Fokus der Firmen in nördlichere Regionen. Dort muss tiefer gebohrt werden, womit das Risiko steigt.

 

Steffi Lemke, naturschutzpolitische Sprecherin der Grünen, sieht die Koalition in der Pflicht: "Die Bundesregierung muss mit Norwegen und insbesondere den Briten sprechen, dass ihre laxe Aufsichtspolitik hochriskant ist. Es kann nicht sein, dass wir irgendwann die Küsten hier für mehrere Milliarden Euro säubern müssen, nur weil die gut verdienenden Ölfirmen zu wenig in die Sicherheit investieren."

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© André Madaus