Erschienen auf heute.de am 16. Juli 2013
von André Madaus
Wird in der Antarktis das größte Naturschutzgebiet der Welt geschaffen? Darüber könnte heute in Bremerhaven die Entscheidung fallen. Doch der menschliche Hunger nach Rohstoffen und Fisch droht das Projekt scheitern zu lassen.
Umweltschützer und Wissenschaftler aus aller Welt blicken voller Spannung nach Bremerhaven. Dort könnte die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze in der Antarktis ( CCAMLR) in einer Sondersitzung am 15. und 16. Juli einen Meilenstein in der Geschichte des Umwelt- und Artenschutzes errichten: Bei den Verhandlungen geht es um nicht weniger als die Einrichtung von zwei Meeresschutzgebieten, deren Gesamtfläche der Hälfte Europas entspräche. Sollten sich die 25 Mitglieder der CCAMLR einigen, könnten in naher Zukunft rund um den Kontinent Antarktika die größten Naturschutzgebiete der Erde entstehen.
Am seidenen Faden
Da die Einigung einstimmig erfolgen muss, hängt der Erfolg am seidenen Faden. Beim letzten Anlauf im November hatten China, Russland und Norwegen ihr Veto eingelegt. Greenpeace-Expertin Iris Menn befürchtet, dass auch dieses Mal wirtschaftliche Interessen die Oberhand behalten könnten."Es gibt bisher keine Erkenntnisse über große lagernde Rohstoffe in der Antarktis. Aber Staaten wie Russland und China befürchten, mit dem Vertrag ein Gebiet dauerhaft für die menschliche Nutzung zu schließen und dass ihnen damit der Zugang zu den Fisch- und Krillbeständen und allen anderen Ressourcen, die man vielleicht in Zukunft dort noch gewinnen könnte, verwehrt ist."
Hoffnung ruht auf Deutschen
Die Hoffnungen der Antarctic Ocean Alliance (AOA), einer Koalition aus rund 30 Umweltschutzorganisationen, wie zum Beispiel WWF und Greenpeace, ruhen in Bremerhaven auf der deutschen Delegation. AOA-Direktor Steve Campbell glaubt, dass die Deutschen aufgrund ihrer guten Beziehungen zu den Gegnern des Abkommens einen Kompromiss erwirken könnten. Die zuständige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner sprach im Vorfeld von einer historischen Chance und appellierte an alle Beteiligten, sich für den Meeresschutz einzusetzen.Für Wissenschaftler sind diese Gewässer als Referenzgebiete ausgesprochen wertvoll, weil sie von menschlichen Eingriffen bislang weitgehend verschont geblieben sind. In solchen nahezu intakten Ökosystemen lassen sich die Auswirkungen auf Organismen durch die Verschmutzung der Atmosphäre mit Treibhausgasen und die Versauerung der Meere durch Kohlendioxid besser untersuchen, weil sie nicht von anderen zivilisatorischen Einflüssen unterschieden werden müssen.
So sauber wie kein anderes Meer
Das Rossmeer gilt als das bislang am wenigsten verschmutzte marine Ökosystem der Welt. Mittelfristig könnte es auch die einzige Polarregion sein, in der das ganze Jahr hindurch Meereis treibt. Das macht es für viele Arten, die darauf angewiesen sind, als Zufluchtsort so wertvoll. Die AOA schlägt vor, allein im Rossmeer ein Gebiet von rund 3,6 Millionen km² unter Naturschutz zu stellen. "Das würde auch den Fang der Schwarzen Seehechte unterbinden, die dort noch immer intensiv befischt werden", erklärt die Biologin Iris Menn.Rund ein Viertel aller Kaiserpinguine der Erde leben in zwei großen Kolonien im Rossmeer. Es gibt verschieden Robbenarten wie Krabbenfresser und Seeleoparden, außerdem sechs Arten Wale, darunter die stark gefährdeten Pottwale und eine nur in der Antarktis vorkommende Orca-Art. Hinzu kommt das millionenfache Leben kleiner und kleinster Organismen in den Tiefen des Antarktischen Ozeans, dessen Umfang und Bedeutung für das Ökosystem Erde noch nicht entschlüsselt ist. Gute Gründe also für die Kommission, diese Schatzkammer des Lebens zu bewahren.