Erschienen am 5.6.2017 auf heute.de
50 Jahre Sechs-Tage-Krieg
Am 5. Juni 1967 eröffnete Israel mit einem Präventivschlag gegen Ägypten den so genannten Sechs-Tage-Krieg. In Deutschland führte der Konflikt zu einer großen Solidarität mit Israel, erinnert Nahost-Kenner Alfred Wittstock im heute.de-Interview.
heute.de: Herr Wittstock, warum sprechen wir nach 50 Jahren noch über den Sechs-Tage-Krieg?
Alfred Wittstock: Diesem Ereignis kommt wesentliche Bedeutung zu, sowohl wegen der unmittelbaren als auch wegen der langfristigen Folgen. Die Auswirkungen des sogenannten Sechs-Tage-Krieges sind bis heute sichtbar. Was den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern betrifft, sind sie politisch nicht gelöst. Die arabischen Staaten Ägypten, Syrien und Jordanien hatten sich mit der Gründung Israels 1948 damals nicht abgefunden. Der Versuch, Israel militärisch zu besiegen, sollte diese Staatsgründung revidieren. Als ein Ergebnis des Krieges von 1967 ist das arabische Lager auseinandergegangen: Ägypten schloss 1979 einen Friedensvertrag mit Israel, 1994 auch Jordanien. Die Rahmenbedingungen haben sich seitdem verändert.
heute.de: Welche Rolle hat der Krieg damals für die deutsch-israelischen Beziehungen gespielt?
Wittstock: Erst 1965 wurden diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel aufgenommen. Das verlief nicht ohne Diskussionen. Zivilgesellschaftlich gab es viele Kreise, die Beziehungen mit Israel wollten. Außenpolitisch war es wegen des Alleinvertretungsanspruchs der damaligen BRD und dem Verhältnis zur arabischen Welt aber schwierig. Die Reaktionen auf den Krieg von 1967 waren dann fast euphorisch, es gab eine schnelle Solidarisierung mit Israel. Menschen meldeten sich bei der israelischen Botschaft und fragten: Können wir irgendwie helfen? Es gab Sammelaktionen unter dem Motto "Hilfe für Israel", Günter Grass war einer der Hauptakteure.
In der Springerpresse und im "Spiegel" gab es Lobeshymnen auf Israel, die unter Umständen auch peinlich wurden: "Bravo, ganz wie die Wüstenfüchse", hieß eine Schlagzeile in Anspielung auf den NS-General Erwin Rommel. Für Teile der deutschen Bevölkerung wurde die eigene NS-Vergangenheit kompensiert durch den Sieg im Sechs-Tage-Krieg. Für die jüngere Generation, die nach der Verstrickung der Älteren in der NS-Zeit fragte, war es die Gelegenheit, sich von den Eltern abzusetzen und sich mit dem "unterdrückten David" zu solidarisieren, der jetzt doch als jüdischer Staat siegreich war und damit den Schatten von Auschwitz überwunden hatte.
heute.de: Ging es dabei auch um Sühne?
Wittstock: Den Begriff Sühne würde ich nicht verwenden. Aber das Gefangensein in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit lässt sich an der Haltung gegenüber Israel und dem Sechs-Tage-Krieg sehr gut ablesen. Es gab einerseits den Versuch, die eigene Verstrickung in die NS-Geschichte hinter sich zu lassen, während die 68er-Generation die Bedrohung Israels und dessen Sieg nutzte, um sich mit den Eltern auseinanderzusetzen. Beide Phänomene haben ihre Wurzeln in der NS-Zeit. Die Solidarität der jungen "linken" Generation mit Israel ist dann sehr schnell auseinandergebrochen. Stattdessen wurde Israel bald als Vertreter des Imperialismus angesehen, als "der Unterdrücker des unterdrückten palästinensischen Volkes".
heute.de: Heute sind antisemitische Haltungen auch in der Mitte der Gesellschaft wieder zu beobachten. Beunruhigt Sie das?
Wittstock: Beunruhigend ist Antisemitismus immer, erstaunlich ist das nicht. Man findet heute eher einen auf Israel gerichteten Antisemitismus, der weniger mit den klassischen Klischees arbeitet. Aber die Grenzen sind fließend, unter Umständen ist auch der "Anti-Israelismus" ganz offen antisemitisch. Es stellt sich die Frage, aus welchen Kreisen das genährt wird. Die offener geäußerte Kritik an der Politik Israels, die in antisemitische Muster umschlägt, hat zugenommen. Einen latenten Antisemitismus gab es immer, auch in Umfragen. Aber heute äußert man sich in Kommentaren bei Facebook und sonstigen neuen Medien ganz offen, auch mit Name und Adresse. Das hat sich in den letzten Jahren geändert.
heute.de: Was prägt die heutigen deutsch-israelischen Beziehungen?
Wittstock: Im Nahen Osten haben sich die Parameter im Vergleich zu damals völlig verändert. Das spielt auch eine wichtige Rolle in den deutsch-israelischen Beziehungen. Der ungelöste israelisch-palästinensische Konflikt ist nicht mehr täglich in den Schlagzeilen. Er ist verdrängt worden vom so genannten Bürgerkrieg in Syrien. Aber alles, was sich dort abspielt, passiert vor Israels Haustür. Die Golanhöhen, ehemals syrisches Gebiet und als Ergebnis des Sechs-Tage-Krieges von Israel annektiert, liegen 60 Kilometer von Damaskus entfernt. Die Infiltration von Al-Kaida und dem IS nahe stehenden Gruppierungen auf dem Sinai oder die Hisbollah im Libanon sind Faktoren, die dringende Fragen nach der Sicherheit Israels hervorrufen. Wir erleben diese Veränderungen durch den islamistisch geprägten Terrorismus, der seit einigen Jahren auch in Deutschland zu sehen, zu spüren und zu verarbeiten ist, hautnah. Plötzlich gibt es diese Bedrohung aus den gleichen Quellen auch in Deutschland, und damit die Frage: Wie geht man damit um? Gleichzeitig wird uns bewusst, dass sich Israel mit dieser Bedrohung seit Jahrzehnten auseinandersetzt.
Das Interview führte André Madaus.