Erschienen am 23.2.2012 auf heute.de:
von André Madaus
Umweltschützern gilt es als dreckiges Öl: Brüssel möchte strenge Klimaauflagen für Teersand-Benzin. Doch die neue Ölmacht Kanada macht dagegen mobil. Auch in der EU ist das Thema umstritten. Kritiker befürchten, dass Wirtschaftsinteressen obsiegen.
Es war ein höchst ungewöhnlicher Vorgang, der sich vor zwei Wochen zum Thema Teersand-Benzin im Bundestags-Umweltausschuss abspielte: Der kanadische Botschafter Peter M. Boehm wandte sich in einer
E-Mail an die deutschen Parlamentarier, um ihnen darin, Zitat: "die Bedenken Kanadas" hinsichtlich einer EU-Initiative mitzuteilen. "Seit zwei Jahren versucht Kanada massiv, diese Regulierung der EU
zu beeinflussen und damit praktisch Klimaschutzmaßnahmen in Europa zu verhindern", urteilt Viviane Raddatz, Verkehrsexpertin des WWF.
Im Schreiben des Botschafters wird Teersand als bedeutende strategische Ressource für die ganze Welt angepriesen. Doch hinter dem kanadischen Vorstoß stecken vor allem gewaltige finanzielle
Interessen: In Alberta im Nordwesten des Landes lagern die zweitgrößten Ölreserven der Welt.
Rund 1,8 Billionen Barrel schlummern dort schätzungsweise unter einer Fläche der Größe Englands. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten sind davon etwa 170 Milliarden Barrel abbaubar. Doch dieses Rohöl, das als Bitumen oder "Erdpech" in einem Sandgemisch gebunden ist, kann nur mit einem hohen Energieaufwand überhaupt gewonnen werden. Zudem setzt die dabei unvermeidliche Zerstörung von Wäldern und Mooren zusätzlich große Mengen an Treibhausgasen frei.
Einer Studie der Stanford University zufolge entstehen in der gesamten Kette der Kraftstoffherstellung bei der Gewinnung aus sogenanntem unkonventionellen Rohöl bis zu 23 Prozent mehr Kohlendioxid-Emissionen. Geht es nach dem Vorschlag der EU, soll dies in einem entsprechend höheren CO2-Wert in der sogenannten Kraftstoffqualitätsrichtlinie angerechnet werden. Die Mineralölkonzerne müssten das beispielsweise durch klimaschonende Verfahren an anderer Stelle wieder ausgleichen, um die von der EU vorgegebene Reduktion der Treibhausgasemissionen von sechs Prozent bis 2020 einzuhalten.
Doch innerhalb der EU ist das umstritten: Ein EU-Expertengremium konnte sich am Donnerstag nicht auf die Ökobilanz des Energieträgers einigen. Jetzt müssen sich die EU-Umweltminister mit der Umweltverträglichkeit des ökologisch umstrittenen Teersands beschäftigen.
Auch im deutschen Umweltausschuss scheiterte ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die EU-Initiative zu unterstützen. Laut Oliver Krischer, Energieexperte der Grünen, hat die kanadische Einmischung dazu beigetragen: "Abstimmungsverhalten und Äußerungen der Koalition zeigen: Die Umweltpolitiker mussten vor Wirtschaftsinteressen kuschen." Dies sei "ein Skandal", so der Grüne zu heute.de.
Die Liberalen schieben den schwarzen Peter lieber dem großen Koalitionspartner CDU/CSU zu. Man unterstütze den Vorschlag der EU-Kommission und habe eine parteiübergreifende Einigung angestrebt, sagt der umweltpolitische Sprecher der FDP, Michael Kauch, zu heute.de. Dies sei mit der Union nicht möglich gewesen. Tatsächlich war man sich bei CDU und CSU offenbar nicht einig, drei von 13 Unions-Abgeordneten enthielten sich. "Das zeigt, dass es auch im Regierungslager zunehmend grummelt", sagt Josef Göppel, Obmann der Union im Umweltausschuss, der "Süddeutschen Zeitung".
"Die EU muss ein klares Signal für Klimaauflagen für die Mineralölindustrie senden, " betont WWF-Expertin Viviane Raddatz. Bislang gibt es kaum einen Markt für Rohöl aus Teersanden und Ölschiefer. Der weltweite Anteil liegt nur bei rund zwei Prozent, in der EU sind es sogar nur 0,1 Prozent. Doch angesichts des immer knapper werdenden Rohstoffs Erdöl könnte sich dies bald ändern.
"Eine faktische Öffnung des europäischen Marktes würde die Ölgewinnung aus Teersanden lukrativer machen, der Abbau von Vorkommen in anderen Ländern wie Venezuela, Madagaskar oder Russland mit den gleichen Folgen für Klima und Umwelt wäre nicht mehr zu verhindern", fürchtet Grünen-Politiker Krischer.