Erschienen am 22. März 2012 auf heute.de:
von André Madaus
"Wasser ist das am strengsten kontrollierte Lebensmittel" - das klingt erst einmal beruhigend. Aber stimmt es auch? Experten fordern strengere Kontrollen, die auch Krankheitserreger einbeziehen. Ein Blick auf die Risiken zum Weltwassertag.
Wasser ist der Grundstoff des Lebens, den kein anderes Nahrungsmittel ersetzen kann. Diese Tatsache will der Weltwassertag heute ins Bewusstsein rücken. Er steht unter dem Motto "Wasser und Nahrungsmittelsicherheit". Deutsche Behörden betonen gerne, dass Trinkwasser hierzulande absolut sicher sei - eine Aussage, der immer mehr Experten widersprechen.
Auch Martin Exner lässt sie so pauschal nicht gelten: "Vor allem bei Hausbrunnen und kleineren kommunalen Versorgern stimmt das so nicht", mahnt der Mediziner. Exner ist Vorsitzender der Deutschen Trinkwasserkommission, die Behörden in Fragen der Trinkwasserhygiene berät.
Exner bemängelt insbesondere zu einseitige Kontrollen, die sich lediglich auf Bakterien wie Darmkeime und auf chemische Rückstände aus Industrie, Landwirtschaft und von Medikamenten konzentrieren: "Die mikrobiologischen Risiken hingegen werden bislang systematisch nicht berücksichtigt. In der europäischen Wasserrahmenrichtlinie findet man die Begriffe Krankheitserreger oder Mikroorganismen überhaupt nicht."
Welche fatalen Folgen das unter extremen Umständen haben kann, zeigte sich beispielsweise im Jahr 2000 in Neuwied: Starker Regen und ein schlecht geschützter Brunnen führten zu einem Ausbruch des
Parasiten Giardia lamblia. "Dieser parasitäre Durchfallerreger zählt zu den häufigsten Auslösern Trinkwasser-assoziierter Krankheitsausbrüche", so Exner.
Viele Bundesbürger besorgen sich ihr Wasser ohnehin im Getränkehandel. Als Lebensmittel hat natürliches Mineralwasser eine Sonderstellung: Produzenten benötigen eine amtliche Zulassung, seinen
Ursprung muss das Wasser in einer unterirdischen, vor Verunreinigungen geschützten Quelle haben. Auf der sicheren Seite sind Verbraucher dadurch nicht unbedingt.
Die Zeitschrift "Öko Test" untersuchte 2011 insgesamt 105 stille Mineralwässer - in 31 Proben wurden Rückstände von Pestiziden gefunden, jede zehnte war mit Keimen verunreinigt, die vermutlich bei der Abfüllung in die Flaschen gelangten.
Andererseits ist vollkommene Reinheit ohnehin eine Illusion. "Wir sind auch ein bisschen selber schuld, weil wir jahrelang das Image des reinen Trinkwassers gepredigt haben", gibt Ingrid Chorus, Trinkwasser-Expertin des Umweltbundesamtes, zu. "Wasser kann nicht absolut frei von Krankheitserregern sein. Es dürfen nur eben keine Konzentrationen vorkommen, die schädlich oder gesundheitsgefährdend sein könnten."
Durch bessere Analysemöglichkeiten sei es heute einfacher, Mikroorganismen selbst in geringsten Mengen nachzuweisen - zum Wohle der Verbraucher: "Die Schutzmaßnahmen vor Krankheitserregern im
Trinkwasser werden durch neue Aufbereitungstechniken und das zunehmende Wissen eher besser", so Chorus.
Potentielle Gefahren lauern vor allem dort, wo Trinkwasser nicht aus tiefen Gesteinsschichten, sondern aus Oberflächengewässern gewonnen wird. In den Flüssen Ruhr und Möhne wurde 2006 die
krebserregende Industriechemikalie PFT nachgewiesen, von dort gelangte sie auch ins Trinkwasser. Die Hauptquelle der Kontamination war illegal ausgebrachter Klärschlamm.
Martin Exner fordert deshalb, künftig nicht mehr nur das Endprodukt Trinkwasser zu untersuchen, sondern genau hinzuschauen, woher ein Versorger sein so genanntes Rohwasser bezieht. Die Weltgesundheitsorganisation legte hierzu schon 2004 ein Konzept vor.
Die Trinkwasserkommission strebt an, noch in diesem Jahr eine Strategie für dessen Umsetzung in Deutschland auf den Tisch zu legen. "Unser hohes Gut, Wasser aus der Leitung trinken zu können, ist weltweit gesehen leider nicht selbstverständlich. Es für die Zukunft zu bewahren ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft", sagt Exner.