Erschienen am 31.12.2018 auf heute.de

 

Geheimnisvoller Skarabäus

 

Die außerirdischen Artefakte im Grab von Tutanchamun

 

Schon in Ägypten war Exklusives den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Das zeigt ein Skarabäus aus Tutanchamuns Grab. Lange wurde ihm nachgesagt, außerirdischen Ursprungs zu sein.

 

Tutanchamun kam schon als Kind auf den Thron und starb noch als Teenager. Seine Untertanen dürften den eher unbedeutenden Pharao bald vergessen haben. Heute, mehr als 3.200 Jahre später, sieht das ganz anders aus: Die Entdeckung seines Grabes im Jahr 1922 wurde zum modernen Mythos, seine blau-goldene Totenmaske zur einer Ikone des 20. Jahrhunderts. Die mit 5.400 Beigaben reich gefüllte Grabkammer beschäftigt Wissenschaftler noch heute. 

 

Rätselhafte Artefakte

Insbesondere ein Artefakt war rätselhaft: Ein Skarabäus, der das Zentrum eines Pektorals ziert, eines Brustschmuckes, den der Pharao wohl schon zu Lebzeiten um den Hals trug. Dieser Käfer wurde aus einem gelb-grün schimmernden, transparenten Material gefertigt, dessen Ursprung jahrzehntelang unbekannt war. Erst 1998 konnte der Italiener Vicenzo de Michele die genaue Zusammensetzung ermitteln: Der Skarabäus wurde aus libyschem Wüstenglas (abgekürzt LDSG, Libyan Desert Silica Glas) geschliffen, einem natürlichen Siliziumoxid, das bislang nur an einem einzigen Ort auf der Welt gefunden wurde: In der Großen Sandsee, einer abgelegenen Wüste im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Libyen.

 

Wegen seiner Reinheit von 98 Prozent ist dieses Siliziumoxid sehr lichtdurchlässig. Das erklärt den magisch schimmernden Glanz. Was die Fantasie der Menschen aber viel mehr anregte, waren einige Spurenelemente, die de Michele nachweisen konnte: Die für irdische Verhältnisse ungewöhnliche Kombination von Eisen, Nickel, Chrom, Kobalt und Iridium brachte die Legende in die Welt, das Wüstenglas könnte kosmischen Ursprungs sein.

  

Viele Mythen, viele Theorien

Selbst seriöse Medien spielen immer wieder mit dieser Idee. Erst recht, seit bewiesen wurde, dass die Ägypter die Eisenobjekte aus Tutanchamuns Grab tatsächlich aus Meteoriten herstellten, die irgendwann in der ägyptischen Wüste niedergingen.

 

Auch für die Entstehung des Wüstenglases gibt es inzwischen eine plausible Theorie: Vor rund 30 Millionen Jahren könnte ein Meteorit in Nordafrika eingeschlagen oder unmittelbar über dem Erdboden explodiert sein. Die dabei entstehende enorme Hitze ließ den siliziumreichen Sandstein im Untergrund schmelzen. Die aufgeschleuderten Brocken vermischten sich mit kleinsten Partikeln des Himmelskörpers, ehe sie erkalteten und als so genanntes Wüstenglas zur Erde fielen: Entstanden zwar durch himmlisches Zutun, aber im Wesentlichen irdischen Ursprungs.

 

Ein besonders prächtiges Exemplar dieses seltensten aller "Edelsteine" muss irgendwann in die königlichen Werkstätten am Nil gelangt sein. Seine Verwendung in einem derart wichtigen Schmuckstück des Pharaos ist jedoch kein Zufall, glaubt Katja Broschat vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) in Mainz, die selbst schon viele Beigaben aus der Grabkammer analysiert hat: "Der Skarabäus hat in der ägyptischen Vorstellung eine eminent wichtige Symbolkraft, er versinnbildlicht die aufgehende Sonne und damit die Wiedergeburt. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade dieses Symbol im Pektoral aus einem ganz besonderen Material gefertigt wurde."

 

Kein Handel mit Wüstenglas

Es sei aus heutiger Sicht jedoch schwierig zu definieren, welche Materialien für die Ägypter etwas Besonderes darstellten. Glas ist heute alltäglich, die Herstellung war vor 3.000 Jahren aber Spitzentechnologie. Seine Verwendung, wie bei den blauen Streifen in Tutanchamuns Totenmaske, war der königlichen Familie vorbehalten.

 

"Alles was selten ist und schwer zu beschaffen, was eine besondere Farbe oder einen besonderen Glanz hat und irgendwie exotisch ist, wurde besonders wertgeschätzt", so Broschat. "In altägyptischen Texten werden verschiedene Materialien und ihre magisch-religiöse Bedeutung aufgelistet. Oft ist es einfach nur die Farbe, die mit etwas in Verbindung gebracht wird."

 

Wie kam das Glas nach Ägypten?

Für Frank Förster vom Ägyptischen Museum Bonn "passt die gelb-grüne Farbe des Skarabäus gut in das kosmologische und farbliche Konzept" des Pektorals. Aber wie kamen die Ägypter an den exklusiven Rohstoff? Förster erforscht antike Handelsrouten durch die libysche Wüste. Er hält es für unwahrscheinlich, dass die Herrscher vom Nil mit dem natürlichen Glas Handel trieben: "Ich kenne kein anderes Artefakt aus Wüstenglas im altägyptischen Kunstschaffen. Und dieses eine Stück aus Tutanchamuns Grab beweist noch lange nicht, dass ägyptische Expeditionen jemals die Große Sandsee erreichten."

 

Vielleicht war es also ein Zufall, der den magisch glänzenden Stein einem königlichen Goldschmied in die Hände spielte, der daraus eines der kostbarsten und seltensten Objekte der Welt anfertigte.

 

 

 

Hintergrund: Das Pektoral Tutanchamuns

Bei ihrer Entdeckung 1922 war die Grabkammer Tutanchamuns angefüllt mit Tausenden Kunstschätzen, darunter Statuen aus Elfenbein und ein Streitwagen aus Gold. In einer Schmuckkiste befand sich ein Pektoral, ein aus Gold, Silber, Glasflüssen und edlen Steinen angefertigtes Brustbild. Im Mittelpunkt steht der geflügelte Skarabäus aus einem gelb-grün schimmernden, transparenten Glasstein. Der Käfer symbolisiert den jugendlichen Sonnengott Ra, mit Beinen, Flügeln und dem Schwanz eines Falken. Der Skarabäus trägt die Himmelsbarke mit dem Auge des Horus.

Das Meisterwerk ägyptischer Handwerkskunst stellt die Kosmologie der alten Ägypter dar: Die Macht von Sonne und Mond, stellvertretend für die Macht des Pharao, die vereinten Teile Ober- und Unterägyptens und letztlich Auferstehung und Macht im Jenseits. Ziemlich sicher trug Tutanchamun das Pektoral schon zu Lebzeiten, vielleicht war es sogar Teil seines Krönungsschmucks. In jedem Fall sollte das Amulett eine Schutz gewährende Wirkung entfalten - im Leben wie auch im Tod.

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© André Madaus