Erschienen am 5.8.2018 auf heute.de

 

 

Finderlohn

Der Tanz ums goldene Pferd

 

von André Madaus

 

Es war spektakulär, was Archäologen auf dem Land eines hessischen Bauern ausgruben: Einen vergoldeten Pferdekopf. Schöne Sache - wäre da nicht die Frage des Finderlohns.

 

Wer beim Buddeln im Garten plötzlich auf antike Goldmünzen stößt, sollte sich nicht zu früh freuen: Selbst wenn es das eigene Grundstück ist - der Schatz gehört dem Finder ziemlich sicher nicht. So auch in diesem Fall: Als Archäologen 2009 bei Ausgrabungen im hessischen Waldgirmes bei Wetzlar einen antiken römischen Pferdekopf aus vergoldeter Bronze fanden, war schnell klar, dass es sich dabei um einen wissenschaftlich sehr bedeutsamen Fund handelte.

 

Der Schatz gehört dem Land

Mancher Experte verglich ihn sogar mit der berühmten Himmelsscheibe von Nebra. Wie der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein ankündigte, wird das inzwischen für 75.000 Euro restaurierte Prachtexemplar römischer Handwerkskunst am 19. August in der Saalburg bei Bad Homburg erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Ab Mitte November ist der Kopf in der Ausstellung "Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland" zu sehen, die anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres 2018 im Berliner Gropius Bau gezeigt wird.

 

Endlich, möchte man sagen, denn seit der Entdeckung des Pferdekopfes ist fast ein Jahrzehnt ins Land gegangen. Ein jahrelanger Rechtsstreit, der erst vor Kurzem sein (vorläufiges) Ende fand, hatte eine frühere Präsentation immer wieder verhindert.

 

Hintergrund: Wer auf Relikte der Vergangenheit stößt, ist verpflichtet, diese bei der zuständigen Denkmalschutzbehörde zu melden. Dann greift das sogenannte Schatzregal, das bis auf Bayern alle Bundesländer in ihren Denkmalschutzgesetzen verankert haben. Durch dieses Hoheitsrecht gehen herrenlose Schätze, sofern sie von wissenschaftlichem Wert sind, per Gesetz in das Eigentum des jeweiligen Landes über. Die Entdecker können immerhin mit einem Finderlohn rechnen. Der fällt allerdings in der Regel aber eher bescheiden aus.

 

Welche Entschädigung ist angemessen?

Als der Kopf, der wohl Teil einer vergoldeten Reiterstatue des Kaisers Augustus war, 2009 unter Mühlsteinen begraben in einem antiken Brunnenschacht entdeckt wurde, gab es in Hessen das Schatzregal noch nicht. Stattdessen regelte der Paragraf 984 im Bürgerlichen Gesetzbuch, die so genannte Hadrianische Teilung, den Umgang mit derartigen Funden. Sie besagt, dass dem Finder die eine und dem Grundstückseigentümer die andere Hälfte des historischen Fundes zusteht. Das Land Hessen musste sich also mit dem Landwirt, auf dessen Grundstück der Pferdekopf gefunden wurde, auf eine "angemessene Entschädigung in Geld“ einigen.

 

Genau darin lag das Problem: Welchen Betrag legt man für etwas zugrunde, das vor allem einen ideellen Wert hat? "Der materielle Wert solcher Gegenstände war im Grunde noch nie objektiv messbar“, sagt der Archäologe und Bodendenkmalpfleger Thomas Maurer aus Regensburg. "Aber selbst eine kleine, unscheinbare Scherbenansammlung kann wissenschaftlich sehr bedeutsam sein, wenn sie einen neuen, bisher unbekannten Fundplatz anzeigt oder unsere Kenntnis über die Zeitstellung einer Fundstätte erweitert.“

 

Hessen erwägt Berufung

Das hessische Landesamt für Denkmalpflege bot dem Bauern aus Waldgirmes auf Grundlage eines ersten Gutachtens 48.000 Euro für seinen Anteil am Pferdekopf. Da inzwischen aber ganz andere Summen für das Objekt kursierten, forderte der Mann stattdessen 1,8 Millionen Euro. Etliche Gutachten und Verhandlungstage später legte das Landgericht Limburg Ende Juli die Entschädigung in erster Instanz auf insgesamt 821.000 Euro fest. Das Land Hessen prüft nun, ob es in Berufung geht.

 

Für den Landwirt ist das ein Erfolg. Das hessische Denkmalschutzgesetz wurde, wohl unter dem Eindruck des juristischen Tauziehens, 2012 um ein Schatzregal erweitert. Für Thomas Maurer die richtige Konsequenz: "Früher gab es zwar Befürchtungen, dass die Einführung eines Schatzregals dazu führen könnte, dass bedeutende Funde überhaupt nicht mehr gemeldet werden. Aber mittlerweile haben 15 Bundesländer ein Schatzregal, und die Erfahrungen damit sind überwiegend positiv."

 

Mehr Interesse für Archäologie wecken

Dass der Pferdekopf neun Jahre nach seiner Bergung demnächst der Öffentlichkeit präsentiert wird, sei sehr zu begrüßen, findet Maurer. Für ihn sind die Hölzer aus dem Brunnenschacht zwar mindestens genauso spannend, denn erst sie ermöglichten es den Forschern, mithilfe der Dendrochronologie die Entstehungszeit des Brunnens und damit wohl auch der Siedlung jahrgenau auf 4/3 v. Christi Geburt zu datieren. "Aber Highlight-Funde sorgen dafür, dass sich Menschen, die sich sonst nicht so für Archäologie interessieren, dafür erwärmen können. Insofern könnte der Pferdekopf für die Römerzeit eine ähnliche Rolle spielen wie die berühmte Statue des Fürsten vom Glauberg für die Kelten."

 

 

 

INFOKASTEN

 

Die Römersiedlung Waldgirmes

 

Anfang der 1990er Jahre entdeckte man am Ortsrand von Waldgirmes in Mittelhessen römische Tonscherben. Die anschließenden Grabungen zeigten, dass es sich bei der Siedlungsstelle nicht um ein militärisches Lager, sondern um einen zivilen Ort gehandelt haben musste. Bis heute ist es die einzige römische Zivilstadt östlich des Rheins und nördlich der Donau aus der Zeit des Kaisers Augustus. Für die Forschung ist sie ein Indiz dafür, dass die Römer auch in Germanien eine Provinz mit ziviler Verwaltung etablieren wollten. Die seit 1993 laufenden Ausgrabungen ergaben nach und nach das Bild einer typischen römischen Kleinstadt mit Forum, Basilika und Atriumhäusern nach mediterranem Vorbild. Der Pferdekopf ist das größte von insgesamt 168 Bronzefragmenten. Sie gehörten vermutlich zu mehreren Statuen, die im Innenhof des Forums aufgestellt waren. Experten gehen davon aus, dass die Stadt nach der verheerenden römischen Niederlage in der Varusschlacht aufgegeben wurde. Während der kurzzeitigen Wiederaufnahme der Eroberungsversuche durch Germanicus (14-16 n. Chr.) war sie möglicherweise erneut besiedelt.

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