Erschienen am 22.10.2011 auf heute.de

Die Rede ist vom Stottern

Ursachen des Leidens noch ungeklärt

von André Madaus

 

US-Vizepräsident Joe Biden und Schauspieler Bruce Willis stottern. Auch Marylin Monroe, Charles Darwin und der Dichter Heinrich von Kleist sollen betroffen gewesen sein. Obwohl ein Prozent der Bevölkerung darunter leidet, halten sich die Vorurteile.

 

Davon ist Enrico Strathausen jedenfalls überzeugt. Der junge Sprechwissenschaftler und Psycholinguist aus München sieht insgesamt aber einen positiven Trend, den er auch auf den weltweiten Erfolg von "The King's Speech" zurückführt. Die mit vier Oscars prämierte Darstellung des stotternden englischen Königs Georg VI. hatte das Thema zuletzt in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt.

 

Ursachen noch nicht ganz erforscht

"Der Schauspieler Colin Firth hat sich sehr gut in das Innenleben der Stotternden eingefühlt", urteilt Strathausen, der selbst stottert. Seit vier Jahren moderiert er im Münchener Lokalsender Lora 92,4 "Schöner Stottern - was braucht's der Worte mehr?" Die Radiosendung richtet sich auch an Nicht-Stotternde, möchte aufklären und Tabus abbauen.

 

Mit demselben Ziel findet jedes Jahr am 22. Oktober der Welttag des Stotterns statt. "Geschichten austauschen - Wahrnehmung ändern" lautet das Motto in diesem Jahr. Das ist notwendig, denn manche Vorurteile halten sich hartnäckig. Etwa, dass Stotternde unter einer geistigen Behinderung leiden oder zumindest weniger intelligent sind. Tatsache ist: Die Ursachen des Phänomens sind noch nicht zweifelsfrei belegt.

 

Neuere Forschungsergebnisse gehen von einer erblichen Veranlagung aus, die einen negativen Einfluss auf das Zusammenspiel von rechter und linker Gehirnhälfte bedingt. Bewiesen ist das aber nicht.



Ein soziales Symptom

40 Jahre lang hat sich der Sprachheilpädagoge Rolf-Walter Bindel mit stotternden Menschen befasst, Therapien und Theorien entwickelt. "Es ist ein soziales Symptom", glaubt Bindel. Im Kindergartenalter zeigen etwa fünf Prozent der Kinder die Auffälligkeit. Ob sie das Stottern wieder ablegen können, liege vor allem an der Familie: "Wenn Eltern ein Stottern beobachten, müssen sie den Stil ihres Dialogs mit dem Kind verändern, müssen pausierender und abwartender sprechen," empfiehlt der Wissenschaftler. Geschieht das nicht, kann sich das anfänglich "lockere Stottern" eines Kindes negativ entwickeln. Symptome wie Körpermitbewegungen, Augentics, und das Verkrampfen von Kehlkopf und Unterkiefer, um ein Wort "mit Gewalt herauszupressen", seien letztlich nur eine Reaktion zur Unterdrückung des Stotterns. "Das Stottern ist ein Pausenfüller, der signalisiert: Ich bin noch dran, unterbrich mich nicht", appelliert Bindel.



Blickkontakt wichtig

Dasselbe gilt auch für den Umgang mit erwachsenen Stotternden. Enrico Strathausen wünscht sich von seinen Gesprächspartnern das, was sich jeder Mensch in einem Dialog wünscht: Den anderen ausreden lassen und den Blickkontakt halten. "Besonders dann, wenn der Stotternde in eine Blockade gerät. Das Lösen des Blickkontaktes führt zu noch mehr Verunsicherung." Strathausen hat bereits mehrere Therapien ausprobiert und so eine deutliche Verbesserung seines Redeflusses erreicht. "Manchmal klappt es sehr gut, aber dann spürt man regelrecht, wie sich eine Blockade zusammenbraut", erzählt Strathausen.

Die Unklarheit über die Ursachen spiegelt sich in den vielfältigen Therapieangeboten für Stotternde. Rolf-Walter Bindel hat mit Sommercamps gute Erfahrungen gemacht. Hier werden in entspannter Atmosphäre verschiedene Therapieformen angewandt: "Viele Methoden können funktionieren und dabei helfen, die massivsten Symptome zu reduzieren", ist Bindel überzeugt.



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