Erschienen am 25.2.2017 auf heute.de
Wurzeln des Straßenkarneval
Wie alt sind Fasching, Fastnacht und Karneval? Die ersten Quellen deuten auf das Mittelalter hin, doch schon die alten Griechen und Römer hatten Feste, die deutliche Parallelen zu heutigen Fastnachtsumzügen aufweisen. Der Straßenkarneval, wie wir ihn heute kennen, ist aber erst 200 Jahre alt.
Köln vor 2.000 Jahren. Menschen tanzen ausgelassen auf den Straßen. Niemand arbeitet, der Wein fließt in Strömen. Hohe Beamte trinken und lachen mit einfachen Bürgern oder Sklaven. Versteckt hinter grotesken Masken lärmen sie auf Pauken und Rasseln bis zur Ekstase. Als ein bunt bemaltes Schiff mit großen Figuren auf einem Karren um die Ecke biegt, erreicht die Stimmung den Höhepunkt.
Umzüge sind eine Erfindung der Antike
So ähnlich könnte es zugegangen sein, wenn die alten Römer zu Ehren ihres Gottes Saturn alle gesellschaftlichen Regeln über Bord warfen. Die verblüffende Ähnlichkeit dieses Saturnalien-Festes mit dem heutigen Straßenkarneval hat in der Vergangenheit so manchen Fastnachtsforscher dazu verleitet, die alten Römer als dessen Erfinder zu sehen. Der Germanist Karl Simrock leitete 1853 sogar das Wort Karneval selbst von dem lateinischen "carrus navalis" - Schiffswagen - ab.
Heute weiß man, dass der Begriff carrus navalis nicht aus der Antike stammt, sondern erst in einem Text im 12. Jahrhundert überliefert ist. Mit Karneval hat er nichts zu tun. Der Althistoriker Frank Bernstein von der Frankfurter Goethe-Universität kann die falschen Interpretationen trotzdem nachvollziehen: "Wir wissen aus der griechischen und römischen Kultur, dass es kalendarisch fixierte Feste gab, die regelmäßig stattfanden. Dabei ist ganz auffällig, dass gewisse Elemente des rheinischen Karnevals frappierende Parallelen zu antiken Umzügen oder anderen Ritualen erkennen lassen."
Verkleiden ist ein menschliches Bedürfnis
Solche Schiffsumzüge waren dabei durchaus üblich: "Die alten Griechen veranstalten alljährlich eine riesige Prozession, bei der das von jungen Priesterinnen gefertigte Kleid der Göttin Athene auf einem Schiffswagen zur Akropolis gebracht wurde. Dieses Kleid war so groß, dass daraus ein Segel gespannt wurde", so Bernstein. Auch der Weingott Dionysos wurde symbolisch auf einem Schiffswagen am Meer abgeholt und durch Athen gefahren. Im Dionysos-Kult spielen außerdem Masken eine wichtige Rolle. Schon damals schlüpften die Menschen offenbar gerne in eine andere Identität.
Die Ähnlichkeiten mit dem modernen Straßenkarneval lägen letztlich im Menschen selbst, glaubt Bernstein: "Bei den Saturnalien wurde die gesellschaftliche Ordnung umgekehrt und den untersten Schichten Raum gegeben. Ich denke, dass sich in solchem Brauchtum elementare und sehr menschliche Bedürfnisse ausdrücken: Hier wurde ein Ventil geöffnet, es wurden Hierarchien auf den Kopf gestellt und 'verkehrte Welt' gespielt."
Die heutige Fastnacht entstand im Mittelalter
Mit dem Untergang der Römer verschwanden auch ihre Kulte. Die Feste des christlichen Abendlandes entwickelten sich erst Jahrhunderte später. Die Fastnacht, ursprünglich als Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsfest gefeiert, wurde von der Katholischen Kirche im 12. Jahrhundert auf die Zeit vor dem Fasten eingegrenzt. Karneval leitet sich vom lateinischen "carne levare" ab: Wegnahme des Fleisches. In einer Handschrift von Wolfram von Eschenbachs "Parzival" aus dem Jahr 1206 ist zum ersten Mal von einem Fest die Rede, das "vasnaht" genannt wird.
Den Straßenkarneval, wie man ihn heute kennt, gibt es aber erst seit 200 Jahren. Zu Anfang ging es dabei nicht immer lustig zu. In Köln wurde die "Mummerei" im 17. Jahrhundert sogar mehrmals verboten. Das Fest war einfach zu sehr ausgeartet, die Stadtoberen fürchteten um die öffentliche Ordnung.
In Mainz war das ganz ähnlich: "Die Menschen haben vor der Fastenzeit noch einmal richtig die Sau rausgelassen, mit Trinkgelagen und Umzügen. Das hat dann irgendwann Formen angenommen, die man nicht mehr tolerieren konnte", erzählt Michael Bonewitz vom Mainzer Carneval-Verein. "Der Mainzer Karneval ist 1838 nur gegründet worden, um die Straßenfastnacht in geordnete Bahnen zu lenken. Davor muss es wohl ein ziemliches Chaos gewesen sein."
Bonewitz versteht jeden Kölner, der stolz ist auf die antike Vergangenheit seiner Stadt. Schließlich hat auch Mainz römische Wurzeln. An antike Vorläufer des Karneval glaubt aber auch er nicht. "Jeder will ja immer gerne zeigen, wie lang er in der Geschichte zurückblicken kann. Aber Masken und entsprechende Rituale gab es schon bei den alten Ägyptern und wahrscheinlich sogar schon in Mesopotamien."
25.02.2017